Bernhard Peter
Kamakura (Präf. Kanagawa), Kotoku-in


Lage und Erreichbarkeit, Touristisches
Der Tempel Kotoku-in (Koutoku-in) im Stadtteil Hase ist der nördlichste einer Gruppe von Tempeln im Südwesten von Kamakura, wo das dichtbesiedelte Stadtgebiet nach Norden hin in die lockere Siedlungsstruktur der umliegenden Hügel übergeht (Adresse: 4 Chome-2-28 Hase, Kamakura, Kanagawa 248-0016, Japan). Wie kommt man hin? Man kann entweder vom JR-Bahnhof Kamakura mit der Enoden-Line in Richtung Fujisawa bis Hase (EN15) fahren, das ist nach Wadazuka und Yuigahama der dritte Zwischenstopp. Die Strecke dauert rund 11-12 min. und kostet 200 Yen. Vom Bahnhof aus geht man 500 m immer nach Norden, und an der zweiten Ampel liegt rechterhand ein parkartiges Gelände, dort kommt man zum Tempel. Oder einfacher: Den Menschenmassen folgen. Alternativ steigt man auf dem Bahnhofsvorplatz von JR Kamakura in einen Bus z. B. der Linie F11, Ausstieg 6. Stop Daibutsu-mae, das braucht 8 min., und man braucht nur ein kleines Stück nach Nordosten zu laufen, bis man vor dem Tempeltor steht. Der Bus fährt in Stoßzeiten alle 10 min. In der Regel wird der Kotoku-in Teil eines größeren Besichtigungsprogrammes sein, denn er liegt genau zwischen dem Hase-dera und dem Kosoku-ji einerseits und dem Kuzuharagaoka-Daibutsu Hiking Trail andererseits, der einen zu weiteren Sehenswürdigkeiten wie dem Zeniarai-Benten-Schrein (Ugafuku-jinja) im Norden bringt und der beim Tempel Jouchi-ji endet. 

99,9 % aller Kamakura-Besucher kommen hierher. Pauschaltouristen bekommen von Kamakura oft nur diesen Tempel zu sehen und werden gleich weitergekarrt, wenn so eine Pauschalreise überhaupt Kamakura ansteuert. Es geht auch kaum anders, wenn man "ganz Japan" in 12 Tagen anbietet. Beispiel: Studiosus, 14 Tage "Japan im Überblick" - in Kamakura stehen nur der Daibutsu und der Hasedera auf dem Programm, sonst nichts. Das Gleiche bei Meiers Weltreisen "Japan zum Kennenlernen" 9 Nächte. Gebeko "Große Japan Rundreise" - nur der Daibutsu steht im Programm, und überhaupt ist Kamakura nur ein kurzer Zwischenstopp. Beim kompletten Angebot von Wikinger-Reisen wird Kamakura ganz ausgelassen, und Reiseveranstalter Djoser plant immerhin bei seinen Angeboten einen Tagesausflug in die Stadt ein, in der man 2 Wochen verbringen könnte. Heißt: Wer Kamakura wirklich sehen will, sollte und muß dies in Eigenregie tun, um mehr von der Stadt zu sehen als nur den Daibutsu und andere Touristen. Der Tempel steht ferner auf dem Pflichtprogramm aller Schulklassen. Das bedeutet, daß sich hier Touristenmassen tummeln, einheimische und ausländische, daß es hier alle negativen Auswirkungen des Massentourismus gibt: Photo, Essen, Trinken, Toilette, aufgeregt rumschnattern, jeder steht jedem im Bild, ein letztes Selfie, wieder weiter ziehen. Darauf muß man sich einstellen, es gibt hier ein ständiges Kommen und Gehen großer Menschenmengen, und es ist hier weit entfernt von kontemplativer Stimmung. Es gibt im Grunde auch nicht zu sehen außer dieser einen kolossal großen Statue, also Schulklasse oder Reisegruppe noch einmal komplett auf den praktischen Stufen davor aufbauen, Klick und weiter. Und dennoch ist diese Statue großartig, ein Meilenstein der Kunstgeschichte, und man sollte sie genossen haben, am besten früh morgens gleich nach Öffnung des Geländes oder spät kurz vor Schluß, und Wochenenden gilt es zu meiden. Zum Glück überragt sie in stoischer Ruhe das ganze Getümmel und hat schon Schlimmeres gesehen als lärmende Schulklassen. 

Der Eintritt kostet 300 Yen. Das Tempelgelände öffnet um 8:00 morgens, da ist es noch am ruhigsten. Es gibt die Möglichkeit, gegen eine kleine Extragebühr von 50 Yen das Innere der großen Statue zu besichtigen (bezahlen an der Spendenbox am in Bezug auf die Figur linksseitigen Eingang). Da es im Inneren trotz der beiden Fenster noch viel heißer und schwüler als draußen ist, wird in den Sommermonaten diese Option oft nur vormittags angeboten.


Geschichte und Bedeutung
Das unübersehbare Hauptkultbild des Tempels ist der große Buddha von Kamakura (Kamakura Daibutsu). Vom Typ her stellt die kolossale Bronzefigur, die als Nationalschatz des Landes eingestuft ist, einen Amida-butsu (Amitabha Buddha) dar. Amida Buddha wacht über das sogenannte Reine Land, das im Westen gelegene Paradies. Amida als zentrales Anbetungsobjekt des Jodo-Buddhismus gab ein zentrales Versprechen zur Befreiung aller Lebewesen ab, unabhängig von Stand, Vermögen, Taten, Geschlecht, Alter etc., Amida ist die Hoffnung aller Lebewesen, erlöst zu werden und mit Amidas Hilfe durch die nächste Wiedergeburt Eingang in das westliche Paradies zu finden. Das einzige, was dazu nötig ist, ist die Anrufung Amidas mit dem Nenbutsu. Die Wahl des Bauplatzes für diesen Tempel im Westen der Stadt entsprach der zentralen Bedeutung des westlichen Paradieses in der Jodo-Lehre.

Es ist zwar nicht die größte Buddhafigur des Landes, so ist beispielweise der rund 150 Jahre ältere große Rushana-butsu (Vairochana Buddha) des Todai-ji Temple in Nara noch größer, knapp 5 m höher und mehr als doppelt so schwer. Aber die Figur in Kamakura ist insofern besser erhalten, weil erheblich mehr der Substanz original und alt ist und die alte Form erheblich authentischer ist. Und es ist sicher die ungewöhnlichste Buddhafigur des Landes, weil sie im Freien steht. Das war natürlich nicht immer so, sondern die ihn einst umgebende und schützende Tempelhalle, die Halle Daibutsu-den ist längst verschwunden. Halten wir fest, die Statue ist die zweitgrößte Bronze-Buddhafigur des Landes, und sie ist die viertgrößte Buddhafigur unabhängig vom Material, denn es gibt noch den Stein-Buddha (Magai-butsu, Yakushi Ruriko Nyorai) am Berg Nokogiri in Chiba mit 31,05 m Höhe (1969 wiederaufgebaut) und am gleichen Ort den in eine Felsnische gehauenen, 30,5 m hohen Buddha Hyakushaku. Und es geht noch größer: Es gibt noch eine liegende bronzene Buddha-Figur von 41 m Länge und 11 m Höhe und einem Gesamtgewicht von rund 300 t im Nanzoin-Tempel in Fukuoka, aber weil diese 1995 errichtete Nehan-zo genannte Darstellung liegt, ist sie außerhalb des Vergleichs, und deshalb darf der Buddha in Kamakura mit Recht die zweitgrößte, bronzene, sitzende Buddhastatue des Landes genannt werden.

Weder das genaue Baujahr noch der Künstler des großen Buddhas sind bekannt. Er gilt als typisches Beispiel des Kamakura-zeitlichen (1192-1333) Stils buddhistischer Skulptur, und stilistisch läßt er sich der Kei-Schule zurechnen, zu der berühmte Bildhauer wie Unkei etc. gehören. Führende Bronzegießer der damaligen Zeit waren Ouno Gorou-emon, Mononobe Shigemitsu oder Tanji Hisatomo, aber ihre Urheberschaft oder Beteiligung kann nicht belegt werden, nur vermutet. Unübersehbar ist der Einfluß des Stils der chinesischen Song-Zeit (960-1279). In der Chronik Azuma-Kagami wird beschrieben, daß der Bau 1252 begann, und daß der Priester Joko (Joukou) aus Totomi (Toutoumi) Spenden dafür sammelte, um die bisherige, auch schon sehr groß dimensionierte hölzerne Figur aus dem Jahr 1243 in diesem bei einem Sturm 1247 zerstörten Tempel zu ersetzen. Das bedeutet, daß der zugehörige Tempel, für den er ab 1238 schon Spenden gesammelt hatte, vermutlich um 1243 gegründet worden war; der Gründer ist nicht bekannt. Die Finanzierung des Neubaus erfolgte wie schon beim vorherigen Tempel weitestgehend über Spenden von Privatpersonen, wobei wenig Unterstützung seitens der herrschenden Houjou-Familie zu erwarten war, die vielmehr den Zen-Buddhismus förderte und wenig mit dem Amida-Buddhismus der Jodo-Lehre zu tun hatte. Außerdem war der damalige 5. Regent, Houjou Tokiyori (1227-1263), gerade mit dem Bau des Kencho-ji beschäftigt. Das heißt, staatliche Förderung gab es nicht, und im Gegensatz zu der Statue in Nara wurde diese hier komplett privat durch Spenden der Gläubigen finanziert. Die Herstellung erstreckte sich über einen Zeitraum von rund 12 Jahren, es ist nicht bekannt, wann sie exakt fertig wurde.

Die Figur ist aus vielen einzelnen Platten zusammengesetzt, was man besonders gut von innen erkennen kann. So eine riesige Figur konnte nicht aus einem Guß hergestellt werden, sondern wurde abschnittsweise gegossen. Diese Gußtechnik nennt man Ikarakuri. Dazu errichtet man zuerst einen Formköper aus Holz und/oder Gips. Daran modelliert man die äußere Form aus Gips. Anhand der äußeren Form macht man als Abklatsch die innere Form, auch aus Gips. Davon muß man nun die obersten cm abtragen, um den von der Gußmasse auszufüllenden Spalt zu schaffen. Jetzt hat man das Problem, daß die Gips-Schalen unmöglich das Gewicht der Gußmasse tragen können. Deshalb wird die innere Form von innen mit Erde hinterfüttert, dann wird die äußere Form montiert und ebenfalls mit fest gestampfter Erde angeschüttet, um ein Widerlager zu haben. Erst jetzt kann die geschmolzene Bronze (68,7 % Cu, 9,3 % Sn, 19,6 % Pb und Spuren von Fe und Al) in den Spalt gegossen werden. Dann wird die nächste Schicht nach dem gleichen Prinzip aufgebaut, und die nächste Lage wird gegossen, bis oben hin. Das Problem an den Lagengrenzen ist, daß unten die Bronze schon erkaltet ist, wenn oben neue flüssige Bronze nachgegossen wird. Deshalb gibt es hier besondere Vorkehrungen wie Falze, Doppellungen etc., um eine feste Verbindung zwischen den Lagen zu erreichen. Da man diese gegenseitige Durchdringung an den Nahtstellen nach innen legte, ist diese Technik am besten zu erkennen, wenn man die Figur innen betritt (Eingang auf der Ostseite). Aufgrund der Nähte kann man schließen, daß die Figur in insgesamt sieben größeren Teilabschnitten gegossen worden ist, und da man auch innerhalb einer Ebene in mehreren Abschnitten arbeitete, ergeben sich insgesamt 30 Gußabschnitte. Nach dem Erkalten wird erst die Erde außen entfernt, dann die Gipsform außen, dann die Erde innen, zuletzt die innere Gipsform. Zuletzt erfolgte die Nachbearbeitung der Außenhaut. Spuren auf der Wange und an der Schulter zeigen, daß die Figur einmal vergoldet war.

Damals wurde die Halle Daibutsu-den errichtet, die aber gemäß den historischen Überlieferungen im Taiheiki und im Kamakura-dainikki in den Jahren 1334 und 1369 durch Taifune schwer beschädigt. Der erste Sturmschaden fiel in eine Zeit, als das Kamakura-Shogunat gerade zusammengebrochen war, und die alten Kräfte sich mit den neuen Kräften noch ein paar Gefechte lieferten. Kamakura war Kriegsschauplatz, und just bei diesem Sturm hatten sich ca. 500 Samurai der Houjou-Familie hier in dem Tempel schutzsuchend eingefunden, die meisten von ihnen wurden beim Einsturz getötet oder verletzt. Die Haupthalle wurde jedesmal wieder aufgebaut, und dann am 20.9.1498 bei dem Meio-Nankaido-Erdbeben mit anschließendem Tsunami endgültig zerstört. Und damals beschloß man, die Figur einfach so stehen zu lassen. Die Regierung war längst in Kyoto, und auch das dortige Ashikaga-Shogunat hatte gerade ganz andere Sorgen und rührte keinen Finger für den fernen Tempel. Das heißt, daß der große Buddha seit der Muromachi-Zeit, seit 527 Jahren als "Roza-no-Daibutsu" (Freiluft-großer-Buddha) unter freiem Himmel steht und Hitze, Kälte, Stürmen, Regen und Schnee trotzt. Und daß diese Figur mittlerweile über 760 Jahre alt ist.

Zeitweise geriet der Tempel in Vergessenheit, verfiel, und in der Statue hausten Obdachlose. Während der mittleren Edo-Zeit nahm man sich der Tempelruine an. Treibende Kräfte waren ab 1712 die beiden Priester der Jodo-Schule, Yuten Ken-yo (1637-1718, damals 36. Oberpriester des Tempels Zojo-ji in Tokyo, einer der sieben Haupttempel der Jodo-Schule) und Yokoku, und das Geld kam von Spendern, ein Großteil von Nojima Shinzaemon, einem wohlhabenden Geschäftsmann aus dem Stadtteil Asakusa in Tokyo. Und diese drei schafften es, den großen Buddha reparieren zu lassen und einen Tempel namens Shojosen-ji Kotoku-in zu errichten, in dem das Nenbutsu praktiziert wurde, also die rituelle Anrufung Amida Buddhas mit dem Mantra "Namu Amida Butsu" - ich nehme Zuflucht zu Buddha Amida. Eigentlich sollte der ganze Tempel rekonstruiert werden, aber dafür reichte das Geld nicht aus. Aber dank dieses Trios konnte die Statue gerettet werden, die sonst heute vermutlich nicht mehr existierte. 1879 sammelte man Spenden, um die Wiedererrichtung des Tempelgebäudes zu ermöglichen. 1889 gab man den Plan jedoch auf, und die Spenden verwendete man zur Verschönerung und Vergrößerung des Geländes. Der Große Buddha wurde 1925 nach dem großen Kanto-Erdbeben 1923 repariert; die Schäden betrafen vor allem den gemauerten Sockel, und die Statue hatte sich 50 cm nach vorne geneigt. Eine weitere Reparatur erfolgte 1960-1961, wobei die Hals- und Nackenpartie innen verstärkt wurde und damit die Erdbebensicherheit erhöht wurde, und die letzte Restaurierung der Figur fand 2016 statt. Weil die Figur im Freien steht, muß sie mehrfach jährlich außen gereinigt werden.

Goshuin des Tempels Kotoku-in, die beiden rechten unteren Spalten: Datum: Di, 5.9.2023 = Reiwa 5 nen ku-gatsu itsuka. Limke Spalte: Kotoku-in.

Der Bergname (San-go) des Tempels lautet Daii-san. Und damit lautet der vollständige und offizielle Tempelname Daii-san Kotoku-in Shojosen-ji (Daii-san Koutoku-in Shoujousen-ji). Auch heute noch gehört der Tempel der von Honen (1133-1212) gegründeten Jodo-Richtung des Buddhismus an.


Rundgang und Beschreibung
Der Eingang zum Tempel liegt im Südwesten, und man passiert zuerst eine kleine Quermauer mit Durchlaß und dann das Nio-mon mit braunrot gestrichenen Holzteilen. Es gehört nicht original zu diesem Tempel, sondern wurde Anfang des 18. Jh. zusammen mit den beiden Nio-Figuren (Vajrapani) aus einem anderen Tempel hierher verbracht. Die Schrifttafel über dem Eingang trägt den offiziellen Tempelnamen in Kalligraphie: "Dai-i-san",von rechts nach links geschrieben. Wenige Meter danach kommt das Sanmon, das man aber nicht passieren darf, sondern der Weg führt zuvor linkerhand am Ticketschalter vorbei und dann außen an der nächsten Quermauer vorbei. Und dann betritt man nach Passieren des linkerhand befindlichen Handwaschbeckens einen riesigen kahlen Vorplatz, auf dem alles auf die frei stehende riesige Statue zu läuft, deren leicht erhöhte Plattform nach ein paar Stufen erreicht wird. Diese beiden Tore und das Handwaschbecken sind die einzigen Gebäude, die auf einen buddhistischen Tempel verweisen. Ansonsten wirkt das Gelände eher wie ein Park, in dem eine Erinnerungsstatue steht. Alle anderen typischen Elemente buddhistischer Tempel fehlen, es gibt keine Tempelhallen, es gibt keinen Friedhof etc. Natürlich ist das nach wie vor ein Tempel, doch die Funktionsgebäude stehen verborgen rechts abseits der öffentlichen Wege.

Ein paar Fakten: Die Höhe mit Plattform beträgt 13,35 m, die Statue allein mißt 11,31 m in der Höhe. Das Gesamtgewicht beträgt 121 t. Der Umfang beträgt 29,4 m. Der Abstand zwischen beiden Knien beträgt 9,10 m. Das friedlich lächelnde Gesicht alleine ist 2,35 m lang, die Augen mit tief gesenkten Lidern sind 1,00 m breit, der Mund mit kleinem Schnurrbart darüber ist 0,82 m breit. Die Ohrläppchen sind 1,90 m lang. Der Kopf ist mit 656 im Uhrzeigersinn gedrehten Löckchen (Rahotsu) besetzt, die im Durchschnitt einen Durchmesser von 24 cm haben und die sich etwa 20 cm in der Höhe erheben. Das Byakugo (das "dritte Auge" auf der Stirn) hat einen Durchmesser von 18 cm. Nur zum Vergleich: Der große Buddha in Nara hat mit Plattform eine Höhe von 18,03 m (Faktor 1,35), alleine eine Höhe von 14,98 m (Faktor 1,32) und ein Gewicht von 250 t (Faktor 2,07). Sein Gesicht hat eine Länge von 5,33 m (Faktor 2,27), seine Augen eine Breite von 1,02 m (Faktor 1,02), sein Mund eine Breite von 1,33 m (Faktor 1,62), seine Ohren eine Länge von 2,54 m (Faktor 1,34), aber er hat nur 492 Haarlöckchen (Faktor 0,75).

Diese Angaben zeigen, wie unterschiedlich im Grunde die Proportionen sind, und daß der Buddha in Kamakura die harmonischeren Dimensionen hat, während der in Nara das Ergebnis der Kombination einer älteren Figur mit einem viel späteren Kopf ist. Stilistisch ist der Buddha in Kamakura der reinere und edlere. Die Hände bilden eine Mudra (Geste), Handflächen nach oben, Finger zu Kreisen geformt (eine Variante der Dhyana-Mudra). Dabei berühren sich Zeigefinger, Mittelfinger und Ringfinger, während der kleine Finger es nicht tut. Oben berühren sich die beiden Daumen, ruhen aber nicht auf den Zeigefingerkuppen. Bei Amitabha Buddha werden insgesamt neun verschiedene Handstellungen (Raigou) im Detail unterschieden, mit denen Amida die Verstorbenen im westlichen Paradies begrüßt, diese mudra hier wird "Jobon-josho-in, Joubon-joushou-in" genannt und gilt als höchstgestellte. Man erkennt auch das Mammoso genannte Detail, eine Membran zwischen den Fingern, eines von 32 Buddha zugeschriebenen körperlichen Merkmalen. Füße sind nicht sichtbar, die sind unter den Falten des Gewandes verborgen. Die Proportionen sind objektiv verzerrt, werden nach oben zu großer, so daß der normale Betrachter, der ca. 4-6 m vor der Statue steht, subjektiv einen natürlicheren Eindruck von der Figur hat, eine kleine Mogelei mit der Perspektive mit positivem Endergebnis. Wenn man die gigantische Figur länger betrachtet, entdeckt man immer mehr Kleinigkeiten, die ihre Harmonie ausmachen.

Vor der Buddha-Statue stehen zwei 1712 gestiftete Bronzelaternen; bis Ende des 19. Jh. hatten sie spitz zulaufende Abschlüsse. Die Statue ist hufeisenförmig von drei flachen Bauten mit touristischer Infrastruktur umgeben, eine 36 m lange und 45 m breite Anlage, die einen Hof von 27 m Tiefe und 29 m Breite freiläßt. In diesen umgebenden Hallen sind auf der rechten (östlichen) Seite zwei Waraji bzw. Warazori aufgehängt, Strohsandalen von riesigen Dimensionen. Sie haben 1,8 m Länge und 90 cm Breite und wiegen 45 kg. Sie sind ein Geschenk des Matsuzaka Children’s Club der Stadt Hitachi-Ota (Präfektur Ibaraki), und die Sandalen werden von den Kindern in Handarbeit selber hergestellt. Die Tradition begann 1951, ein nächstes Paar gab es 1956, und seitdem gibt es alle drei Jahre ein neues Paar. Der usprüngliche Gedanke dahinter war, daß der Große Buddha darin symbolisch durch Japan wandert, um den Leuten Glück zu bringen. Der Hintergrund war 1951, daß Japan noch immer sehr unter den Nach- und Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs litt, und überall der Wunsch nach göttlichem Beistand übermächtig war. Am rechten Kopfende des Umgebungsbaus gibt es Goshuin, normale und limitierte jahreszeitliche Sonder-Editionen. In der Goldenen Woche, wo immer jahreszeitliche Besucherrekorde aufgestellt werden, gibt es wegen des großen Andrangs nur vorgefertigte Goshuin, keine ad hoc kalligraphierten. Vor lauter Größe der zentralen Figur übersieht man leicht, daß es in diesem Hof mehrere alte Grundsteine (So-seki) gibt, die einst die Halle über der Figur trugen; diese hatte Maße von 44 m × 42,5 m. An einem dieser Grundsteine (insgesamt gibt es 53 auf dem Gelände) erkennt man eine Reihe von Werkmarken, wo die Keile zum Brechen des Steines hineingetrieben wurden. 

Im Rücken der Figur kann man sich die aus der mittleren Edo-Zeit stammenden bronzenen Petalen der Lotusblüte genauer ansehen, denn der Plan war, den heutigen gemauerten Steinsockel damit zu verbergen, so daß der Buddha auf einer Lotusblüte von insgesamt 32 bronzenen Blütenblättern (Ren-ben) saß, aber davon haben nur vier überlebt, bzw. es wuren nur vier davon hergestellt und dann wurde der Plan aufgegeben. Auf diesen vier bronzenen Petalen sind die Namen der Spender eingraviert, die damals im 18. Jh. Yuten halfen, die Rettung der Figur zu finanzieren. Im Rücken der Figur gibt es oben zwei große, 1736 eingebaute Fenster mit nach außen schlagenden Flügeltüren aus Bronze. Aus Stabilitätsgründen durchzieht ein Bronzegitter die Öffnungen.

Im Osten der Galerie schließen sich Verwaltungsgebäude des Tempels an, der eigentliche heutige Tempel Kotoku-in, und da möchte man keine Touristen sehen, und im Norden gibt es hinter der Hufeisenanlage noch eine einsame Holzhalle, Kangetsu-dou genannt (Mondbeobachtungshalle, unterschiedliche Lesung der Schriftzeichen kan = mi (betrachten), getsu = tsuki (Mond), do = Halle). Auch diese gehört nicht zum originalen Gebäudebestand des Tempels. Vielmehr war sie ein Geschenk von Kisei Sugino (1870-1939), Präsident der Firma Yamaichi Goshi Kaisha, der späteren Yamaichi Securities Co., Ltd., der sie 1924 aus seinem eigenen Anwesen in Meguro, Tokyo, dem Tempel schenkte. In der Halle wird eine aus der späten Edo-Zeit stammende Figur einer Kannon Bosatsu (Avalokiteshvara Bodhisattva) in der Form einer Heiligen Kannon (Sho Kannon, Arya-Avalokitesvara) aufbewahrt. Diese Statue ist die 23. Station eines Kannon-Pilgerpfades nur für Kamakura, der 33 Stationen umfaßt (Kamakura Sanjuusan-kasho), am Sugimoto-dera beginnt und am Subtempel Butsunichi-an des Engaku-ji mit seiner Juuichimen Kannon endet. Diese Halle soll angeblich aus Korea mitgebracht worden sein, es soll sich um einen Teil des kaiserlichen Palastes aus der Mitte des 15. Jh. in Hanyang gehandelt haben, im heutigen Seoul. In dieser Halle bzw. dem Vorläuferbau wurde früher des Priesters Yuten gedacht.

Gleich übereck gibt es noch einen großen Toilettenbau, und gegenüber einen Laden für Souvenirs und Talismane. Am Laden Igarashi gibt es Mitbringsel, Kaffee, Tee und Matcha-Eis. Über das ganze Tempelgelände verteilt gibt es noch zahlreiche Steinmonumente mit Inschriften, es gibt eines mit Worten des Mönchs Yuten Shonin (1637-1718) und weitere mit Gedichten von Yosano Akiko (1878-1942) und Kaneko Kunen (1876-1951), eines, das die Gründung des Tempels im Jahre 707 dokumentiert etc. Der Stein mit dem Gedicht von Yosano Akiko steht rechts neben der Halle Kangetsu-do; das Gedicht folgt der Form eines Tanka, das ist ein Gedicht mit 31 Moren, die 31 Kana entsprechen, in der Anordnung 5:7:5:7:7. Das Gedicht lautet "Ka-ma-ku-ra-ya / Mi-ho-to-ke-na-re-do / Sha-ka-mu-ni-wa / Bi-na-n-ni-o-wa-su / Na-tsu-ko-ad-chi-ka-na" und beschreibt die Empfindungen der Dichterin beim Anblick der Statue. Sie hatte jedoch offensichtlich nicht mitbekommen, daß es sich hier nicht um Buddha Shakyamuni handelt, sondern um Buddha Amida. Vermutlich war sie eine bessere Dichterin als Religionskundlerin. Einige Bäume sind mit Gedenktafeln versehen und erinnern an hochgestellte Persönlichkeiten, die sie anläßlich ihres Besuches gespendet haben, z. B. die thailändische Königsfamilie in Gestalt des damaligen Kronprinzen Vajiralongkorn, der eine Kiefer stiftete, oder des Prinzen Vajiravudh, der eine weitere Kiefer spendierte, oder des thailändischen Königs Rama VII (Prajadhipok, 1893-1941) mit einer weiteren Kiefer. Und es gibt noch ein Gedenkmonument für den früheren Präsidenten von Sri Lanka, J. R. Jayewardene (1906-1996).


Photos:


Literatur, Links und Quellen
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.com/maps/@35.3168684,139.5358275,20z?entry=ttu - https://www.google.com/maps/@35.3168684,139.5358275,94m/data=!3m1!1e3?entry=ttu
Webseite des Tempels Kotoku-in:
https://www.kotoku-in.jp/en/ - Plan des Geländes: https://www.kotoku-in.jp/en/grounds_info.html - der große Buddha: https://kotoku-in.jp/en/characteristic.html - großer Buddha: https://kotoku-in.jp/en/about.html - Herstellung: https://kotoku-in.jp/en/casting.html
Kotoku-in auf Kamakura today:
https://kamakuratoday.com/e/spot_daibutsu.html
Kotoku-in auf Japan Travel:
https://en.japantravel.com/places/kanagawa/kamakura-daibutsu/10 - https://en.japantravel.com/kanagawa/visiting-great-buddha-in-kamakura/36937 - https://en.japantravel.com/kanagawa/inside-the-kamakura-daibutsu/30822 - https://en.japantravel.com/places/kanagawa/kotoku-in/151
Kotoku-in aufKamakura-Arts:
https://www.kamakura-arts.or.jp/kamakuraart/en/event/te08en/?a=course
Kotoku-in aufLive-Japan:
https://livejapan.com/en/in-tokyo/in-pref-kanagawa/in-kamakura/spot-lj0001943/
Kotoku-in auf auf Good Luck Trip:
https://www.gltjp.com/en/directory/item/10528/
Kotoku-in auf Japan 365 days:
https://www.japan365days.com/kamakura_great_buddha_kotokuin.php
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auf Kanpai-Japan:
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auf Wanderweib:
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Auf Roppongi:
https://roppongi.fr/de/kotoku-in-tempel-ein-juwel-im-herzen-von-kamakura/
auf Japan Guide:
https://www.japan-guide.com/e/e3100.html
auf Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/K%C5%8Dtoku-in - https://de.wikipedia.org/wiki/K%C5%8Dtoku-in
Kamakura-Kannon-Pilgerweg, Webseite von Mark Schumacher: https://www.onmarkproductions.com/html/kannon-pilgrim-kamakura.shtml
Kotoku-in:
https://web.archive.org/web/20120304110102/http://www.asahi-net.or.jp/~qm9t-kndu/kotokuin.htm
Kotoku-in:
https://www.kcn-net.org/e_kama_history/hase/hase.htm
Kotoku-in:
https://web.archive.org/web/20120607142528/http://kamakuratoday.com/e/sightseeing/daibutsu.html
auf Japan Experience:
https://www.japan-experience.com/de/alles-ueber-japan/kamakura/temples-and-shrines-in-japan/kotoku-in-der-tempel-des-grossen-buddha-von-kamakura
Mariko Miki, Sae Yamane: Kamakura & Enoshima: A Japan Guide to Nature, Culture, and Community, LOCAL FOCUS Vol. 1, Verlag: The Blue Co. Ltd, 2. Auflage 2019, 212 S., ISBN-10: 4991060516, ISBN-13: 978-4991060519 S. 149-150


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