Bernhard Peter
Typisch japanische Wächterfiguren: Komainu


Vor Shinto-Schreinen gibt es einen Zuweg (Sando, Sandou), der je nach Größe des Schreines mehrfach gegliedert sein kann. An markanten Punkten, z. B. vor einem Torii, vor einer Treppe oder auch vor dem Honden selbst, sind paarweise sogenannte Komainu als Wächterfiguren aufgestellt. Sie sind ein typisches Merkmal von Shinto-Schreinen, aber kein eindeutiges Erkennungsmerkmal; ihr Einsatz ist nicht per se auf shintoistische Kultstätten beschränkt, auch stellen sie keine Kami dar. Es gibt sie genauso vor buddhistischen Tempeln, wie das erste Bildbeispiel belegt. Man kann sie auch vor Residenzen und im Prinzip sogar vor Privathäusern aufstellen. Bei Toren können die Komainu dergestalt mit den menschlichen Wächterfiguren (Nio) kombiniert werden, daß die Nio auf der Außenseite in den seitlichen Nischen stehen, die Komainu in den Nischen der Innenseite des Torgebäudes, weil sie hierarchisch unter den Nio stehen.

Diese grimmig dreinschauenden Kreuzungen aus Löwe und Hund dienen der Abwehr böser Geister. Das Wort Koma-inu setzt sich zusammen aus Koma = das alte koreanische Königreich Goguryeo und Inu = Hund, bedeutet also "altkoreanischer Hund" oder "Goguryeo-Hund". Hier wird nicht "Korai" für koreanisch benutzt, sondern "Koma", weil damit das 668 untergegangene koreanische Königreich gemeint war. Von einem Löwen war also noch nicht die Rede, sondern es wurde nur eine hundeähnliche Form beschrieben.

Das kombinierte man dann mit dem chinesischen Konzept der Shishi bzw. Karajishi (Kara = chinesisch), vor Eingängen aufgestellte Wächterlöwen. Diese Idee kam mit dem generell starken chinesischen Einfluß während der Heian-Zeit nach Japan. Fortan kombinierte man den altkoreanischen Hund mit dem chinesischen Löwen, einem uralten herrschaftlichen Symboltier: Auf der einen Seite (rechts vom Eintretenden) steht die Agyo-Form oder A-Form, löwenähnlich, mit geöffnetem Maul und mit Mähne, vom chinesischen Shishi abgeleitet, auf der anderen Seite (links vom Eintretenden) steht die Ungyo-Form oder Un-Form, hundeähnlich, mit geschlossenem Maul, manchmal mit einem Horn auf der Stirn, vom koreanischen Phantasiehund abgeleitet. Da "A" und "Un" kann man am ehesten mit unserem "A bis Z" oder "Alpha und Omega" vergleichen, es bedeutet Anfang und Ende aller Dinge und damit das Universum und ist genauso vom ersten und letzten Laut im Sanskrit-Alphabet abgeleitet.

 

Abb.: Kyoto, buddhistischer Tempel Ninna-ji: Die bauzeitlichen Figuren am 1637-1644 erbauten Nio-mon lassen sich noch deutlich in Kara-jishi (rechte Abb.) und Koma-inu (linke Abb.), also in China-Löwe und Korea-Hund unterscheiden.

Das Problem war, daß man in Japan keine Löwen kannte, von ihrem Aussehen nur vom Hörensagen eine Vorstellung hatte. Deshalb wurde aus der Idee "Löwe" etwas Eigenes, Phantasievolles. Nun vermischten sich beide Formen: Aus Löwe und Hund wurden beiderseits Löwenhunde, weniger gefährlich, manchmal ziemlich putzig bis grotesk in den Augen derer, die echte Löwen gesehen haben. Beide nannte man nun Komainu, nicht mehr Shishi. Eigentlich müßte man Löwenhund als Shishi-inu oder als Raion-inu (Raion kommt übrigens vom englischen "lion") bezeichnen, aber diesem Weg ist man nicht gefolgt, sondern der alte Ausdruck Koma-inu wurde beibehalten. Beide Komainu blicken sich in der Regel an, können aber auch das Gesicht dem Besucher zuwenden oder dem Eingang. Sie waren ursprünglich aus Holz, und das wird auch noch als Material verwendet, wenn sie auf der überdachten Veranda eines Honden stehen. Mit der Sitte, sie weiter weg im Freien aufzustellen, wechselte man auf das Material Stein. In der Neuzeit wurden sie auch mal aus Bronze oder Messing angefertigt. Was erhalten blieb, ist die Sitte, den vom Betrachter gesehen rechten Löwenhund mit geöffnetem Maul und den vom Betrachter gesehen linken Löwenhund mit geschlossenem Maul darzustellen. Lautlich stehen die Zuordnungen "A" und "Un" für den geöffneten und den (fast) geschlossenen Mund beim Sprechen.

 

Beide Abb.: Uji, Shinto-Schrein Ujigami-jinja, am Treppenaufgang zum Honden: Rechte und linke Figur sind sich ähnlich geworden und vereinigen Elemente eines Löwen und eines Hundes zu einem Phantasiewesen. Nur die offenen bzw. geschlossenen Mäuler werden beibehalten.

Abb.: Himeji, Shinto-Schrein Gokoku jinja, bronzener Komainu aus dem späten 19. Jh. mit Shimenawa-Seil mit Shide aus Papier um den Hals. Bis auf das geöffnete Maul sind rechter und linker Komainu ununterscheidbar.

Abb.: Kyoto, Yasaka-Schrein, linker Komainu aus Stein mit geschlossenem Maul und aus anderem Material angesetztem Horn über der Stirn.

Abb.: Kyoto, Shinto-Schrein Kitano Tenman-gu, rechter Komainu aus Stein mit geöffnetem Maul vor dem Sanko-mon, dem Tor der Drei Lichter. Die Papierlaterne trägt eines der beiden Schreinsymbole, die Kiefer.

 

Komainu im Jodo-ji, Onomichi (Präfektur Hiroshima)

Komainu im Jodo-ji, Onomichi (Präfektur Hiroshima), Detail

 

Komainu am Sugahara jinja (Sugawara-Schrein) in Taima, Katsuragi (Präfektur Nara)


Literatur, Links und Quellen:
Komainu: https://de.wikipedia.org/wiki/Komainu - https://en.wikipedia.org/wiki/Komainu
Komainu:
http://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/k/komainu.htm
Komainu:
https://www.univie.ac.at/rel_jap/an/Mythen/Imaginaere_Tiere/Komainu
Sammlung von Komainu-Bildern:
http://www.komainu.net/
Sammlung von Komainu-Bildern:
http://photozou.jp/photo/list/213794/672708
A-Un-Konzept bei Wächterfiguren:
http://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/a/aun.htm
Komainu:
http://komainu.org/index.html
Imaginäre Tiere:
https://www.univie.ac.at/rel_jap/an/Mythen/Imaginaere_Tiere


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