Bernhard Peter
Typisch japanische Dinge (33): Chochin (Chouchin)


Für uns ist die Papierlaterne untrennbar mit japanischer Wohnkultur verbunden, und in vielen westlichen Wohnungen hängen die praktischen und flach zusammenlegbaren weißen Papierballons, rund oder oval oder auch zylindrisch, mit einer gewissen Variationsbreite hinsichtlich des verwendeten Papiers, der Feinheit der spiralförmig umlaufenden Rippen und des Designs. Doch wer nach Japan kommt, wird überrascht sein, daß kein Japaner sich so eine Lampe des Typs Chochin (Chouchin) in die Wohnung hängt, denn diese kugelförmigen oder ovalen Papierlaternen sind für den Außenbereich gedacht. Im Wohnraum verwendet man dagegen die Andon genannten viereckigen Papierlaternen, diese bestehen aus einem kubischen Rahmen aus Bambus, Holz oder Metall, der an den vier Außenseiten mit Papier bespannt ist und wirken wie eine oben offene Schachtel. Da sie oben eine viel größere Öffnung haben als die bauchigen Chochin, strahlen sie das meiste Licht nach oben ab, ohne seitlich zu blenden, sind aber auch anfälliger gegenüber Wind und daher besser für Innenräume geeignet. Es gibt sie als stehendes Modell (Oki-andon) und als hängendes Modell (Kake-andon).

Zurück zu den bauchigen Chochin: Von der Wortbedeutung her heißt "Cho" (Chou) "mit der Hand tragen" und "Chin" "Laterne", was darauf schließen läßt, daß dieses Modell ursprünglich für den mobilen Einsatz gedacht war und nur temporär an Haken aufgehängt wurde. Aber auch das Modell Andon war ursprünglich eine mobile Laterne, denn "An" heißt "gehen" und "Don" steht für "Lampe".

Wir sehen die bauchigen, an Haken oben aufgehängten Chochin heute dagegen oft an Tempeln und Schreinen, z. B. beiderseits von Toren, jeweils unter einem kleinen Satteldach, damit sie vor Witterung geschützt sind. Manchmal werden sie sogar in Plastikfolie eingepackt. Wir sehen sie ferner an Schreinen in mehreren Reihen unter den weit überkragenden Dächern der offenen Plattformen. Und wir sehen sie entlang von Wegen an Gestellen aufgereiht. Das Material der spiralförmigen Rippen ist gespaltener Bambus. Bei der Herstellung bedient man sich eines Grundkörpers aus radial gestellten Lehrbögen, das man nachher zusammenklappen und durch die verbleibende Öffnung herausziehen kann. Über die Backen dieser Lehre wird zunächst die endlose Rippe aus Bambus spiralförmig aufgezogen, dann wird das Papier aufgeklebt. Die Bespannung ist Washi-Papier, neuerdings leider auch Plastik oder PVC für wetterfestere Exemplare. Diese Konstruktion ermöglicht das flache Zusammenlegen. Die Form ist meist bauchig wie ein Korb, deshalb wird dieser Typ auch Kago-Chochin genannt. Die Grundfarbe des Papiers ist meist Weiß, oft auch Rot. Das Design variiert: Manchmal werden die Laternen mit einem Wappen (Kamon) bedruckt, manchmal mit dem Schriftzug des Tempels oder Schreins, oder mit dem Namen eines Spenders, meist Geschäftsleute des umliegenden Viertels, für die eine am Schrein aufgehängte Laterne eine prima Werbung ist. Besonders große und repräsentative Chochin findet man an Eingängen von Tempeltoren, aber auch von Geschäften und traditionellen Herbergen. Auch Izakaya (Kneipen) und Restaurants schmücken ihre Eingänge damit, auch manche Geschäfte. Zum Obon-Fest im August sieht man Papierlaternen ("Bon chochin") allerorten, als Einladung an die Geister der verstorbenen Vorfahren, am Gedenken teilzuhaben. Eine der größten und bekanntesten Papierlaternen ist die gigantische Laterne im Durchgang des Tores Kaminari-mon ("Donner-Tor") des Tempels Senso-ji in Tokyo: Sie wiegt 700 kg und ist rot mit schwarzer, weiß bordierter Shoji-Kalligraphie.

Diese Papierlaternen werden bereits im Jahr 1085 erwähnt, im im Choya-gunzai, waren also mindestens bereits in der mittleren Heian-Zeit bekannt, auch wenn Abbildungen erst aus späteren Jahrhunderten überliefert sind. Ein wichtiges Herstellungszentrum war die Stadt Nagoya, und eine bedeutende Firma ist beispielsweise das Familienunternehmen Fushitani Shoten. Weitere wichtige Herstellungszentren sind Mito (Präfektur Ibaraki), Gifu (Präfektur Gifu) und Yame (Präfektur Fukuoka). Die Suifu chochin aus Mito haben im Vergleich zu den anderen genannten Produktionsstätten eine Besonderheit: Die Bambusrippen bilden keine Spirale, sondern unabhängige Ringe. Das verwendete Papier wird Nishinouchi genannt. Ein Hersteller in Mito ist z. B. Suzuki Mohei Shoten. Wer in Kyoto Chochin kaufen möchte, findet einen guten Laden in der Higashi Oji Dori: Kojima Shouten liegt gleich südlich vom Schrein Imakumano Jinja, am besten erreichbar über den JR-Bahnhof Tofukuji, der Hauptstraße erst nach Osten, dann im Bogen nach Norden folgen, 160 m nach der zweiten Ampel auf der linken Straßenseite (Imakumano Naginomoricho 11, Higashiyama). In diesem Traditionsgeschäft werden Papierlaternen nach wie vor von Hand und ausschließlich aus Naturmaterialien gefertigt.

Es gibt aber noch einen zweiten Typ Papierlaternen für den Außenbereich, die Bonbori. Diese Laternen haben einen sechseckigen Querschnitt, sind auf einem Ständer montiert und werden typischerweise zu festlichen Anlässen, z. B. einem Matsuri-Fest, aufgestellt.


 

Beide Abb.: Uji, im Schrein Ujigami-jinja

 

Papierlaternen vor der Südfront des Daikoku-do im Ishiyama-dera in Otsu (Präfektur Shiga)

Kyoto, reihenweise aufgehängte Papierlaternen am Hirano-Schrein

 

Abb. links: Kyoto, am Chokushi-mon des Tempels Sennyu-ji, mit Chrysanthemen-Kamon. Abb. rechts: Otsu, Tempel Miidera

 

Beide Abb: Kyoto, Shinnyodo, vor dem Kamakura Jizo-do

 

Papierlaternen am Hojo des Kodai-ji in Kyoto

 

Papierlaternen am Hojo des Kodai-ji, Kyoto. Die Motive sind einer historischen Vorlage entnommen, die innen gezeigt wird.


Literatur, Links und Quellen:
Nicholas Bornoff, Michael Freeman: Things Japanese - Everyday Objects of Exceptional Beauty and Significance, 143 S., Verlag Periplus, 2014, ISBN-10: 480531303X, ISBN-13: 978-4805313039, S. 120-121
Traditionelle Beleuchtung auf Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/Traditional_lighting_equipment_of_Japan
traditionelle Lampen auf Matcha-jp:
https://matcha-jp.com/en/823
Chochin auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ch%C5%8Dchin
Andon auf Wikipedis:
https://de.wikipedia.org/wiki/Andon_(Laterne)
Auf Kyoto Project:
http://thekyotoproject.org/english/chochin-traditional-japanese-paper-lanterns/
Kojima Shouten:
http://kojima-shouten.jp/
Herstellung von Papierlaternen:
http://www.suzumo.com/en/lineup4/ - http://www.suzumo.com/en/topics/manufacturing-processes-of-traditional-chochin/
Chochin:
https://www.japan-talk.com/jt/new/chochin


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