Anne Christine Hanser
Reportagen aus dem Jemen, Teil 13:
Schöne Bescherung: Die Scheckgeschichte

Weihnachten 2005

Alle Schecks werden in unserem Projekt vom Teamleiter (Paul) ausgestellt und von mir gegengezeichnet. - Da mir die Berechnungsgrundlage oft nicht bekannt ist, beschränke ich mich in der Regel auf eine Art Plausibilitätscheck (ein kurzer Blick auf den Betrag und den Empfänger), bevor ich unterschreibe und eine Kopie ziehe. Genau dieses tat ich auch mit den Schecks, die unser Projektkoordinator - Mohamed M. - vor drei Tagen im Auftrag unseres Teamleiters vorbei brachte, um sie anschließend an die Teilnehmer der Studienreise nach Jordanien zu verteilen. Ich hatte gerade zwei Schecks gegengezeichnet, als wir auf den Scheck für den Minister stießen, den unser Teamleiter offensichtlich vergessen hatte zu unterschreiben. - 'Na, ein Glück' - sagte Mohamed - 'daß wir das heute noch entdeckt haben. In ein paar Stunden wäre es zu spät gewesen'. (Unser Teamleiter würde in der Nacht den Flug in seinen Weihnachtsurlaub antreten.) In aller Eile unterzeichnete ich den Rest der Schecks und bat unsere neue Projektassistentin, eine Kopie zu ziehen, bevor Mohamed sich flugs wieder zurück ins Ministerium für den Öffentlichen Dienst zu unserem Teamleiter zurückbewegte, um dessen Unterschrift für den Scheck des Minister einzuholen.

Gestern kam Mohamed wieder bei mir vorbei. Mit einem halb zerknirschten, halb lachenden Gesicht erzählte er mir, daß er gerade beim Staatsekretär gewesen war, um dessen Scheck auszuhändigen. Bei der Gelegenheit hatte er erfahren, daß der Staatssekretär nicht mitfliegen würde - und auch der Minister nicht, zwei Ersatzkandidaten waren schon benannt. Noch ehe ich mich fragen konnte, was denn dann der Sinn der VIP Studytour war - die für das Topmanagement der jeweiligen Projektorganisationen gedacht war, zeigte mir Mohamed den eigentlichen Grund für seinen Besuch in meinem Büro, nämlich den Scheck für den Staatssekretär. - Lies! Sagte er und zeigte auf den in Worten geschriebenen Betrag. Ich las laut den in englischer Sprache geschriebenen Betrag und verglich ihn noch - während ich las - mit den Ziffern. Soweit nichts auszusetzen, dachte ich im Stillen - bis ich, ja bis ich zu der WÄHRUNG kam. - Der Scheck war in RIAL ausgestellt. - 741 Jemenitische Rial anstatt 741 EURO, das sind genau 229mal weniger. - Peinlich, peinlich dachte ich. Und das habe ich gegengezeichnet... Ich hatte die Währung glatt überlesen. Unser Staatsekretär allerdings nicht! -

Mohammed und ich hatten den gleichen Gedanken: Laß uns nachsehen, ob die anderen Schecks auch in Rial ausgestellt waren. Zum Glück hatte Mohamed sie noch nicht verteilt. Erleichtert stellten wir fest, daß die Beträge der anderen Scheck jeweils in EURO ausgewiesen waren, bis wir an den letzten kamen, nämlich an den, der für Mohamed selbst bestimmt war - der die Gruppe nach Amman begleiten sollte... 741 RIAL. Mohamed und ich konnten uns das Lachen nicht verkneifen.

Mohameds Vorschlag war, daß ich Rial durchstreichen und EURO schreiben - die Richtigkeit der Änderung durch eine Extraunterschrift bestätigen würde.

'Das funktioniert nicht - kommentierte ich trocken, jede Änderung verlangt zwei Unterschriften. Die Bank wird das nicht akzeptieren.' Deja vue.

'Dann ruf' Paul an und frag', was wir machen sollen. - Hast Du die Nummer?' - fragte Mohamed. - Die Nummer habe ich, aber für so etwas sollten wir Paul nicht im Urlaub stören (was ich ihm nicht sagte, weil ich es zu dem Zeitpunkt auch nicht wußte, war, daß sich unter der Nummer, die mir Paul hinterlassen hatte, eine russische männliche Stimme melden würde, die sagte: 'vü oshiblis - Ein Glück, daß Paul in Moskau wohnt und ich Russisch studiert hatte, sonst hätte ich vielleicht gar nicht verstanden, daß ich die falsch Nummer hatte.)

Mein Vorschlag war, das WORT Rial vorsichtig mit dem gleichen Stift in EURO umzuwandeln. Allerdings benutzte Paul keinen Kugelschreiber, sondern Tinte. - Und die gab es in unserem Office nicht. Den Schlüssel zu Pauls Office hatte ich nicht - und die Sekretärin - die einen Schlüssel hatte - war telefonisch nicht zu erreichen. - 'Außerdem' - meinte Mohamed - 'fällt das auf, Du hast eine ganz andere Handschrift'.

Mein zweiter Vorschlag war, für diesen Zweck den Blankoscheck zu benutzten, den Paul angekündigt hatte, in seinem Office zu hinterlassen. Auch dazu brauchten wir natürlich den Schlüssel für Paul's Büro. Aber wir hatten noch ein paar Tage Zeit bis zur Studienreise, die Schecks waren ohnehin auf den 24. Dezember ausgestellt. - Zur Not - sagte ich - kann ich 1482 EURO von meinem eigenen Geld vorstrecken.

Heute morgen - Donnerstag, 22. Dezember, rief mich Mohamed an - ich war gerade in der Küche beim Plätzchenbacken (denn wie wir alle wissen, ist Donnerstag hier im Jemen Samstag, das heißt: Wochenende). Er sagte, er müsse mir von dem Problem mit dem Scheck erzählen. - Einem NEUEN Problem? - fragte ich Böses ahnend...

Gerade habe Dr. Nasib, - einer der Teilnehmer der Studienreise, den ich flüchtig vom Sehen kannte - von der Bank aus angerufen. Der Bankangestellte am Schalter weigerte sich, ihm die Summe von 741 EURO auszuzahlen, weil das Datum nicht stimmte. -

Ach ja, dachte ich, die Schecks sind von Paul auf den 24. Dezember ausgestellt worden. Wahrscheinlich hatte Mohamed die Empfänger nicht extra vorgewarnt.

Das war aber nicht das EIGENTLICHE PROBLEM. Das eigentliche Problem war, daß auf dem Scheck - 24 Dezember 2006 stand. 2006 !!!!

Auf was muß man nicht alles achten - dachte ich. Um genauer zu sein: Auf was alles hatte ICH NICHT geachtet, als ich die SCHECKS gegengezeichnet hatte...

Wieder hatten Mohamed und ich die gleiche Idee: Laß uns überprüfen, ob die anderen Schecks auch 2006 aufweisen.

Aufatmen - ich zog die beiden Schecks aus der Tasche, die ich seit dem letzten Besuch Mohameds mit mir trug - beide Schecks waren auf 2005 ausgestellt. Das half natürlich für diese beiden Schecks nichts, die dummerweise RIAL - Schecks waren, aber gab mir Hoffnung, daß die anderen Schecks, die schon - an die Teilnehmer verteilt worden waren - 2005 enthielten.

Nichtsdestotrotz - sagte Mohamed - müssen wir jetzt die anderen Teilnehmer anrufen... Müssen wir? - fragte ich. - Müssen wir! - sagte Mohamed und fügte hinzu: 'Ich mache das.' - Na wenigstens das bleibt mir erspart.  - Schöne Bescherung.

Mal sehen, was als nächstes passiert...

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© Text, Graphik und Photos: Anne Christine Hanser 2005
Autorin: Anne Christine Hanser, International Advisor, Support for Administrative Reform, Sana'a, Jemen
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