Bernhard Peter
Kalender und Zeitrechnung:
Der Sonderweg des Sri Yukteshwar Giri

Wer war Sri Yukteshwar Giri?
Swami Sri Yukteshwar Giri wurde als Priya Nath Karar am 10. Mai 1855 in Serampur (bei Kalkutta) in Westbengalen geboren. Er war Schüler von Lahiri Mahasaya. Nach dem Tod seiner Frau wurde er Mitglied im Swami-Orden und verwandelte sein Anwesen in Serampur n einen Ashram. Er wurde geistlicher Lehrer, Yogi und Guru. Ein weiterer Ashram wurde in Puri gegründet. Sein Name „Sri Yukteshwar“ bedeutet „Vereinigung mit Ishwara“ – mit dem die Natur kontrollierenden Aspekt Gottes. Von seinen Anhängern wurde der Guru auch als „Jnanavatar“ oder „Inkarnation der Weisheit“ bezeichnet. Er war Mitglied des Giri-Zweiges des Swami-Ordens. 1894 verfaßte Sri Yukteshwar sein Buch "Die Heilige Wissenschaft", worin er sich mit der Theorie der Zeitalter, mit dem geistigen Entwicklungspotential des Menschen und mit Methoden zur Entwicklung derselben befaßt. Er starb am 9. März 1936 in Puri, Orissa. Der Ashram in Puri wird bis heute von Schülern Sri Yukteshwars weitergeführt, der Ashram in Serampur existiert nicht mehr, statt dessen hat die Yogoda Satsanga Society (YSS) in der Nähe einen Tempel errichtet. Sein bedeutendster Schüler, Paramahansa Yogananda, hat später für die Verbreitung der Lehren gesorgt, die im Westen einen gewissen Bekanntheitsgrad genießen.

Seine Theorie
In Abweichung vom allgemein akzeptierten Modell der vier Yugas (s.o.) konzipierte Sri Yukteshwar ein eigenes Modell, dessen Bedeutung oft überschätzt wird. Dessen Basis ist genauso wie bei dem klassischen Modell die Zyklizität des Seins, die Degeneration, die Notwendigkeit der Neuschöpfung, die existentielle Abhängigkeit des irdischen Seins von Göttern, die alles wieder richten, der Traum von der Rückkehr zum Goldenen Zeitalter, in dem alles besser ist. Die wichtigsten abweichenden Merkmale seines Modelles sind folgende:

Ohne Zweifel ist das Werk wissenschaftlich weit von Seriosität entfernt. Das war auch gar nicht die Absicht Sri Yukteshwars. Vielmehr war es eine Herausforderung zum Überdenken der überlieferten Vorstellungen und zum eigenen Erfahren von Erkenntnis.

Die kontinuierlich zyklische Abfolge der Zeitalter
Das Caturyuga-Modells nach klassischer Lehre besagt, daß jeder Zyklus aus verschiedenen Abschnitten besteht, die sich wie 4:3:2:1 verhalten. In jedem Zyklus findet Verschlechterung, Verfall, Degeneration statt. Der Weg führt von einem paradisischen oder goldenen Zeitalter hinab in ein dunkles Zeitalter. Gesetze, Tugenden, Gerechtigkeit, Dauer des Lebens, Kräfte, alles verfällt und nimmt ab. Ein Neubeginn ist möglich. Das Ende ist zugleich ein neuer Anfang. Am Ende steht die umfassende Restauration, wobei der sprunghafte Übergang wieder in ein goldenes Zeitalter erfolgt. Das Modell ist diskontinuierlich zyklisch.

In seinem Modell geht Sri Yukteshwar von 2x 12000 menschlichen Jahren aus, die er als zwei „Daiva-Yugas“ oder "elektrisches Kräftepaar" bezeichnet. Sie bilden zusammen eine absteigende und eine aufsteigende Hälfte eines Kreisdurchlaufes. Der Haupt-Unterschied zum klassischen Modell ist, daß nach dem Abstieg ins finstere Kali Yuga nicht direkt "Zack!" ein neues Satya Yuga kommt, sondern die Abfolge der Zeitalter vollzieht sich in umgekehrter Reihenfolge. Sein Modell kennt also nicht die schlagartige Rückkehr ins Goldene Zeitalter, sondern ein Hin-und-Her-Schwingen zwischen zwei Extrempositionen wie bei einem Pendel, das zwischen seinen Extrempositionen auch alle Zwischenzustände sowohl auf den Hinweg als auch auf dem Rückweg durchläuft. Oder sagen wir: Die Zeitalter oszillieren. Sein Modell ist kontinuierlich zyklisch. Also: absteigendes Satya Yuga - abst. Treta Y. - abst. Dvapara Y. - abst. Kali-Y. - aufsteigendes Kali-Y. - aufst. Dv.-Y. - aufst. Tr.-Y. - aufst. S. Y. - abst. S. Y. etc.

Nach seiner Lesart befinden wir uns also jetzt im aufsteigenden Dvapara Yuga, nicht im Kali Yuga.

Die Unstimmigkeiten zwischen seinerTheorie und der herrschenden Ansicht führt Sri Yukteshwar auf einen politisch motivierten Fehler zurück: Als der Maharaja Yudhistira den Thron an Raja Pariksit (um 700 v. Chr.) übergab und sich zurückzog, wagte niemand, den Beginn des Kali Yuga zu formulieren, und der Beginn desselben wurde rechnerisch verschleiert - so Sri Yukteshwar's Theorie.

Andere Zeiträume bei Sri Yukteshwar
Die Hauptquellen für die Weltzeitalterlehre nach klassischer Auslegung sind die Mahabharata, die Manusmrti und verschiedene Puranas. Die Bhagavata Purana bestimmt vage den Beginn des Kali Yuga durch den Tod Krishnas. In den klassischen Vedas und in den Brahmanas findet sich die Lehre von den Weltzeitaltern nicht. Bei den Jahresangaben in den Schriften ist die gängige Lehrmeinung, daß es sich um Götterjahre handelt. Ein Tag der Devas (Götter) entspricht einem menschlichen Jahr von 360 Tagen.

Eine Argumentation dafür ist z. B., daß die Götter auf dem Berg Meru leben, welcher die Weltenachse repräsentiert. Ein Tag der Weltenachse besteht aus der nördlichen und südlichen Deklination der Sonne und fällt in etwa mit unserem Menschenjahr zusammen.

Ein gewisser Bedeutungsmaßstab spricht für die große Dimension der Götterjahre, denn in der Manusmrti wird auch gesagt, daß ein Monat der Menschen einem Tag der Prtis, der Vorfahren, entspricht. Der Bedeutungsreihenfolge Vishnu - Brahma - übrige Devas - Vorfahren - Menschen entspricht auch die sukzessiv unterschiedliche Zeitwahrnehmung in dieser Reihenfolge.

Kernproblem ist die Auslegung der Manusmrti. Nämlich das Wort "Varsanam", "Jahre". Die allgemeine Lehrmeinung geht von Götterjahren aus, weil wir über die Welt der Götter reden, einige Andere aber von Menschenjahren, weil der Text in der Sprache der Menschen und für die Menschen geschrieben ist. Es handelt sich um ein Problem der Auslegung der heiligen Schriften, genauer: der Manusmrti. Die Theorie von den als göttlich zu interpretierenden Jahren könnte eine später hineininterpretierte Lesart sein, um die Manusmrti in Übereinstimmung mit den Puranas zu bringen. Diese Erweiterung könnte mit der ausufernden Sehnsucht der Inder nach Unendlichkeit begründet sein. Wie dem auch sei, die Lesart, über die die größte Übereinstimmung in Indien herrscht, geht von folgenden Zeiträumen aus:

Die Surya Siddhanta ist die wichtigste Quelle und nimmt in der astronomischen Literatur Indiens eine herausragende Stellung ein. Hier werden die Yugas sehr eindeutig in ihrem Verhältnis zu Götterjahren und Menschenjahren definiert, ihre Aussagen sind im wesentlichen das, was wir als "allgemein-indische Vorstellung" akzeptieren, also das, was im Hauptartikel beschrieben wurde.

Die Basis der Theorie von Sri Yukteshwar ist die Auslegung der Manusmrti in Form der Menschenjahre. Er kommt damit zu folgenden Zahlen:

Der Unterschied in den beiden Zahlsystemen ist der Faktor 360, eben die Umrechnung von Götterjahren in Menschenjahre.

Sri Yukteshwars Qualifikation der Zeitalter

Das Wissen nimmt je nachdem, ob es sich um ein aufsteigendes oder absteigendes Zeitalter handelt, zu oder ab. Im aufsteigenden Dvapara Yuga kommt es z. B. zu einer raschen Entfaltung der Wissenschaften, eine Zeit, die Sri Yukteshwar mit dem Zeitraum ab 1700 AD korreliert. Das Mittelalter in Europa fällt mit dem finstersten Abschnitt der Zeitalterlehre zusammen.

Man kann Sri Yukteshwar den Vorwurf nicht ersparen, daß er seine Theorien offensichtlich stark an dem orientiert hat, was er uns beweisen möchte. Seine Interpretation ist stark subjektiv, man könnte das abendländische Mittelalter ebenso als Blütezeit der Klosterkultur, der Ritterethik und des abendländischen Königtums erleben und die Neuzeit als von Krieg und Zerstörung geprägt - außerdem trifft das Modell überhaupt nicht auf die historischen Verhältnisse auf dem indischen Subkontinent zu.

Andere Zeitpunkte
Sri Yukteshwar setzte z. B. den Beginn des absteigenden Kali Yuga auf 700 v. Chr. und den Beginn des absteigenden Dvapara Yuga auf 3100 v. Chr. Damit steht seine Lehre ebenfalls im Widerspruch zur klassischen Einteilung.

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