Bernhard Peter
Altstadt von Khiva: Wohnhäuser

Die Wohnhäuser im alten Khiva vereinigen in sich viele verschiedene und typische Elemente:

Lehmarchitektur: Auf einen niedrigen Ziegelsockel (4-5 Lagen hoch) wird ein horizontaler Balken gelegt. Dieser ist die Basis für die tragende Holzkonstruktion. Die Wände werden im einfachsten Fall mit Stroh und Matten gefüllt, alles wird mit einem Gemisch aus Lehm und Häcksel verkleidet. Das Strohhäcksel hat viele Funktionen: Es vernetzt das Material und sorgt für Zusammenhalt, es ist leicht und spart Gewicht, vor allem aber isolieren die Luftkammern. Bessere Häuser füllen die Wände mit luftgetrockneten Ziegeln oder in neuerer Zeit mit gebrannten Ziegeln.

Holz: Zwischendecken und das Flachdach ruhen auf Balken, die die Wände durchstoßen und wenige Zentimeter bis über 1 Meter herausragen. In der Regel werden komplette Rundhölzer verbaut, denn der Baumreichtum ist nicht so, daß man sich das Sägen von Vierkanten und den Verschnitt leisten könnte. Natürlich wird heute intensiver bewässert als früher, aber Holz ist immer noch kostbar. Für jedes Brett, das man haben möchte, muß man bewässern und vor allem entwässern, evtl. jahrelang das Gelände entsalzen, ehe der Baum überhaupt dort wachsen kann. Entsprechend werden auch die hölzernen Elemente eines Hauses als etwas sehr Kostbares behandelt und entsprechend verziert. Insbesondere die Türen sind in Khiva eine Augenweide, in ansonsten schmucklosen einfachen kubischen Bauten wird hier an dieser einzigen Stelle nach außen Schmuck gezeigt, und dabei vom Feinsten. Wenn man sieht, welch exquisiten Schnitzereien die Türen in einem einfachen Lehmhaus zieren, kann man ermessen, welche Kostbarkeit eine geschlossene Türenfläche aus Holz für die Besitzer war. Gleiches gilt für Holzsäulen eines ggf. vorhandenen Iwans. Andererseits sind im Vergleich der Materialien – Lehm, Stroh, luftgetrocknete Ziegel – die hölzernen Elemente die beständigsten des Hauses.

Innenzentriertheit: Die Häuser sind typische hofzentrierte Häuser, wie sie in der ganzen islamischen Welt üblich sind. Nach außen wirken die Häuser geschlossen und abweisend, nur die notwendigen Öffnungen regeln den Kontakt zur Außenwelt, insgesamt wirkt ein solches Anwesend nicht sehr einladend. Hölzerne Fenster mit Verglasung sind neueren Datums, früher waren durchbrochene Gitter, wie man sie noch überall in den Medresen sieht, einzige Lichtquelle. Wer sich eine gewisse Größe an Haus leisten kann, wird auf einen Innenhof nicht verzichten wollen, auf den sich die Räume öffnen. Der Charakter des Hofes ist das krasse Gegenteil der Außenwirkung: heimelig, gemütlich, Pflanzen, Sitzpodeste im schattigen Freien, familiäres Leben. Wer keinen Innenhof hat, wird im heißen Sommer dennoch ungern in den stickigen Räumen bleiben wollen, in denen es nachts nicht so richtig abkühlen will. Dann benutzt man eben die Straße davor, dort sind häufig die hölzernen Sitz-/Liege-Plattformen zu sehen, die vor den Häusern aufgestellt werden und zum Dösen, Ausruhen, Schachspielen und auch mal nachts zum Schlafen benutzt werden.

Backofen: Ein wichtiges Element jeden Hauses ist der Backofen. Oft wird er draußen an der Straße aufgestellt, es handelt sich um bauchig ovale Lehmöfen mit oben schräg angebrachter runder Öffnung, zwischen Sockelblöcken aus Ziegeln schräg fixiert, so daß er leicht von der Seite zu bedienen ist, daneben Reisigbündel als Feuerholz.

Iwane: Das typischste Element der altorientalischen Bürgerhaus-Architektur von Khiva sind aber die Iwane: Das sind schlanke hohe Räume, bei denen eine Wand komplett fehlt, und deren Decke, die hier von einer besonders durch Verzierungen hervorgehobenen Holzsäule getragen wird, die einen 1-1.50 m breiten reich gearbeiteten Querbalken als Kapitell hat. Sie öffnen sich zum Hof, das sich dort abspielende Privatleben ist von außen uneinsehbar. Meist weist die Öffnung nach Norden, so daß die offene Halle vor Sonneneinstrahlung geschützt ist. So ein Iwan kann sich hoch über den Rest des Hauses erheben, so daß er wie ein Windfang wirkt und den leisesten Luftzug, der über das ansonsten einstöckige Haus streicht, einfängt und in die offene Halle leitet, sehr praktisch im Sommer. Ähnlich gebaute Räume befinden sich oft auch nur im Obergeschoß, in luftiger Höhe in einer Art turmartigen Aufbau, nach Norden oder Osten geöffnet, als angenehmer Wohn-/Schlafort im Sommer, vom Innenhof zu erreichen über eine Außentreppe. Hier wird eine Regel orientalischer Häuser, alles Privatleben vor den Augen der Öffentlichkeit abzuschirmen, scheinbar gebrochen, in der Tat finden hier aber nur Aktivitäten statt, die weniger privat sind, ein nachmittäglicher Gästeempfang, Teerunden. So teilt sich das Haus in ganz unterschiedliche Räume, die entsprechend den herrschenden Klimaverhältnissen genutzt werden: Die geschlossenen Räume mit ihren fensterarmen Wänden für den Winter, die luftigen einseitig gänzlich offenen Hallen für den Sommer.

Die Einrichtung der Häuser ist spärlich, wichtigstes Utensil sind die Sitzplattformen, die eigentlich für alles benutzt werden. Zum Essen wird ein niedriges Tischchen in die Mitte gestellt, zum Schlafen werden ein paar Decken darauf ausgebreitet. Komplizierte Möbel stehen eher weniger in diesen Häusern, kleine Wandnischen dienen der Aufbewahrung von Gegenständen, größere Wandnischen tragen Böden als Regale. Ansonsten besteht das traditionelle Mobiliar aus Polstern, Teppichen, flachen Tischen – und neuerdings vor allem aus einer repräsentativen Fernseherkommode.

Wohnhäuser in der Altstadt - Photos:

Andere Essays über usbekische Architektur lesen - Khiva
Andere Essays über Usbekistan lesen - Literatur
Andere Länderessays lesen
Home

© Copyright Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2006
Impressum