Bernhard Peter
Die Namasgah-Moschee in Bukhara

Synonyme: Moschee Namazgah, Namozgokh Masdschid, Namazgoch Moschee, Namazgoah Masjid.

Die Namasgah-Moschee repräsentiert einen speziellen Typ sakralen Bauwerks, der an die einfachsten Prinzipien islamischen Gebetes anknüpft. Beim Gebet ist es wichtig, daß niemand vor einem hergeht und dadurch das Gebet stört. Ein Muslim betet deshalb gerne vor etwas, das einen räumlichen Abschluß darstellt. Wer auf freier Fläche betet, wird immer das Problem haben, daß er nicht unbegrenzt vor sich ungestörten Raum in Anspruch nehmen kann. Im einfachsten Fall rammt ein Gläubiger einen Stock vor sich in die Erde - die zu respektierende Zone seiner Andacht endet dann an dem Stock, und vor dem Stock kann man passieren, ohne ihn beim Gebet zu stören. Heute lösen Gläubige das Problem auch z. B. durch einen Stuhl etc, den sie in ca. 1.2-1.5 m Abstand vor sich hinstellen.

Für eine große Menge Menschen, die im Freien beten, muß etwas Ähnliches her: Eine Wand, eine Mauer statt Stock eben. Eine Namasgah-Moschee ist das persische Wort für einen Gebetsplatz im Freien, der nur durch eine Mauer begrenzt wird. Keine Tore, keine Minarette, keine Riwaqs, keine Einfriedung - sondern ein großer freier Platz und nichts als eine Abschlußmauer. So konnte man auch große Mengen von Gläubigen ohne allzugroßen architektonischen Aufwand versammeln.

Die Namasgah-Moschee in Bukhara ist im Kern relativ alt. Der älteste Teil war nur eine gegliederte Wand, ist heute in der westlichen Rückwand verbaut und stammt von 1119 AD. Der Mihrab, die Gebetsnische, ist noch aus dieser Zeit. Diese einfache Wand war Begrenzung des 37 x 85m großen Areals.

Weitere Umbauten folgten in späterer Zeit. Gegen Ende des 14. Jh. wurde das Bauwerk mit bunter, glasierter Terrakotta verschönert. Im 16. Jh. erhielt der Bau unter Abdullah Khan sein heutiges Aussehen: Vor die eigentliche Qibla-Wand wurde ein Bau mit drei ineinander übergehenden Kuppelräumen und in alle Richtungen offenen Durchgängen gesetzt. Auch dies war nicht der Gebetsraum, sondern Verschönerung und Vergrößerung des optischen Fluchtpunktes des immer noch davor liegenden Gebetsplatzes. Daß nach wie vor freitags die große Versammlung der Gläubigen vor diesem Gebäude und nicht in ihm stattfand, sieht man daran, daß an der Nordecke des Vorbaus der Minbar (Kanzel) angebaut ist: Eine Treppe führt über eine Spitzbogenarkade in ein Raumelement, das sich in alle Richtungen mit einer Arkade öffnet. Von hier aus predigte einst der Imam vor dem Freitagsgebet. Vor den mittleren Kuppelraum setzte man im 16. Jh. AD einen 15.3 m hohen Pishtaq. Die alte Rückwand war zu schwach, um die neuen Gebäude zu stützen, deswegen wurde sie nach hinten erheblich verstärkt und zusätzlich mit zwei halbkreisförmigen Strebepfeilern abgestützt. Der alte Mihrab und die in die Wand eingelassenen Majolikaplatten aus dem 14. Jh. blieben dabei erhalten.

Die Moschee steht heute zwar äußerlich zum Teil sehr gut wiederhergestellt, innerlich (insbesondere die ältere Rückwand) in lausigem Zustand. Die alte Wand ist in sehr schlechtem Zustand, nur minimale Keramikreste sind am äußeren Bereich zu erkennen, alles andere hat der Zahn der Zeit abgenagt, und die kürzlich vorgenommene Renovierung der Fassade hat das Übrige getan.

Insgesamt steht sie vom allgemeinen Interesse etwas vernachlässigt inmitten eines wenig ansprechenden Stadtviertels am südlichen Stadtrand von Bukhara zwischen einer Straßenkreuzung und einem verwilderten Obstgarten, ringsum moderne Hotels, Unkraut, Schutt und ausgeräucherte Plattenbauten aus sowjetischer Zeit, typische struktur- und gesichtslose Vorstadtbrache zwischen Verfall und Investition, moderne Einerleibauten aus Glas, Stahl, Beton, die baufälligen Relikte aus Sowjetzeiten, Skelette aus geschwärztem Beton und verbogenem Baustahl, und die modernen Bauten eines ohne Plan entstandenen modernen Industriegebietes, durchzogen von einer großzügigen modernen Einfallstraße nach Bukhara, verschandelte Landschaft, eine gesichtslose Vorstadtbrache wie sie überall sein könnte.

Man steigt über die Minbartreppe hoch und gelangt durch einen restaurierten Treppenaufgang aufs Dach, der Blick schweift in Richtung Stadtzentrum, das Kalon-Minarett grüßt herüber, und die Sehnsucht richtet sich wieder auf das atemberaubend schöne Ensemble in der Stadtmitte.

Ingesamt wünscht man sich schnell zurück in die museale und herausgeputzte Innenstadt, der Weg führt durch vernachlässigte Viertel, man entdeckt ein heruntergekommenes Mausoleum und eine ziemlich baufällige Medrese abseits der Touristenpfade, während ein Staubsturm durch die unbefestigten Wege des Viertels pfeift und alles eklig zwischen den Zähnen knirscht.

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© Copyright Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2006
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