Anne Christine Hanser
Reportagen aus Syrien, Teil 6:
Hassan und die Wohnung

Wer die erste Syriengeschichte gelesen hat (und sich noch daran erinnert...), der kennt meinen Vermieter – Pardon, den Sohn meiner Vermieterin – Hassan. Noch einprägsamer aber ist (obwohl ich sie lange nicht persönlich kannte) Hassans MUTTER, die das Objekt (meine Wohnung) 2006 als Wertanlage gekauft hatte und von mir die erste Rendite des Objektes erwartete. Die telefonische Verhandlungen mit Mamá, geführt von Sohnemann und Maklergehilfen hatten sich seinerzeit äußert schwierig gestaltet, da Mamá eigene Vorstellungen von der Höhe der Rendite (Miete) hatte. An Ende hatte Mamá telefonisch von Latakia – dem Wohnsitz der Familie - aus in die monatlich 20.000 syrische Pfund (damals 400 US) Miete ein willigt, schweren Herzen, wie ich mir sicher bin. – Zurück zu Hassan...

Hassan ist Elektroingenieur von Beruf, arbeitete als IT Ingenieur, hat aber vor ein paar Jahren erfolgreich ein Studium als Master in Marketing in Großbritannien absolviert. Marketing sei seine eigentliche Berufung, sagt Hassan. Aber leider hatte er bislang wenig Möglichkeiten, seinen neuen Beruf(ung) in Syrien auszuüben. Offensichtlich hapert es an der Nachfrage nach derartigen Experten. (Vielleicht klappt das Marketing in einer traditionell von Handel geprägten Gesellschaft auch ohne im Ausland ausgebildete Spezialisten. - Man möge mir meine unqualifizierte Bemerkung nachsehen.)

So reifte in Hassan Anfang 2008 der Entschluß heran, sein Glück als Marketingexperte im Vereinigten Königreich zu suchen. Unterstützt wurde dieser Entschluß von einem neuaufgelegten Programm Großbritanniens, junge (ausländische) Akademiker, die dort erfolgreich studiert hatten, mit einer befristeten Green Card auszustatten. Hassans Entschluß brachte allerdings für mich die negative Begleiterscheinung seiner physischen ABWESENHEIT mit sich. Das schwante mir sofort, als Hassan mich eines Abends im Februar oder März 2008 aufsuchte, um mich von seinem Entschluß, Syrien zu verlassen, in Kenntnis zu setzen. Im Sinne eines erfolgreichen Informations- und Beziehungsmarketings hatte Hassan an jenem Abend seinen Freund Kasem im Schlepptau, der fortan Hassan’s-Sohn-der-Vermieterin-Pflichten übernehmen sollte. Zu meiner Überraschung und großen Freude sprach Kasem Russisch, so daß der gegenseitigen Verständigung keine Steine im Weg liegen sollten. – Tatsächlich kontaktierte ich Kasem das ein oder andere Mal nach Hassans Abreise, zum Beispiel als das Telefon nicht mehr funktionierte (die Rechnung, deren Begleichung ursprünglich Hassans Aufgabe war, war nicht bezahlt worden und so hatte die nationale Telefongesellschaft die Leitung gekappt.) oder um die Stromrechnung zu bezahlen (die normalerweise von Hassan bezahlt und von mir dann rückerstattet wurde). Bei solchen Gelegenheiten kommunizierte ich üblicherweise – zumindest am Anfang des Gespräches – in Arabisch, um endlich einmal mein Arabisch anzuwenden, so daß ich im Nachhinein betrachtet eigentlich kaum mein Russisch in Gebrauch nehmen konnte. Da ich Kasems Freundlichkeit nicht überstrapazieren wollte, machte ich mich im Laufe der folgenden Monate bei meiner Nachbarin Muna schlau, wo und wann Strom- beziehungsweise Telefonrechnungen zu bezahlen waren.

Es war, wenn ich mich recht erinnere, Anfang August, als Hassan sich wieder bei mir meldete; per Handy, mit einer neuen, lokalen Telefonnummer (die alte Nummer hatte Syriatel – die syrische Mobiltelefongesellschaft - deaktiviert, weil Hassan die syrische Simkarte nicht mehr benutzt hatte. So hatte er sich eine neü zulegen müssen.) Ich erfuhr, daß Hassan vor kurzem aus England zurückgekehrt war – unverrichteter Dinge, wie er mir enttäuscht, ja etwas verbittert berichtete. Alle seine Versuche, in Edinburgh – dort hatte er zuvor studiert – oder Umgebung einen Job im Bereich Marketing zu bekommen, waren gescheitert. Einmal wurde ihm eine unbezahlte Traineeposition in einem Unternehmen in Glasgow angeboten, allerdings verweigerte die Firma jedwede finanzielle Beteiligung an den täglichen Fahrtkosten... Um die hohe Miete für das kleine Apartment und den Unterhalt bezahlen zu können, jobbte Hassan hier und da als Hilfsarbeiter. Schließlich gab er resigniert auf und trat den Rückzug nach Syrien an. Auch die Auflösung seiner Wohnung in Edinburgh verlief alles andere als erfreulich. Obwohl er dem Vermieter einen Nachmieter stellte und – wie er beteuerte – die Wohnung in einem besseren Zustand verließ, als er sie bei seinem Einzug vorgefunden hatte, verweigerte ihm der Vermieter die Rückerstattung der Kaution. – Hassans Ärger war ihm immer noch anzumerken, als er mir sein Unglück Wochen später bei einem abendlichen Besuch in meinem Apartment in Damaskus erzählte. – Inzwischen hatte er seine Eltern in Latakia besucht, die ihn damit trösteten, daß seine Reise nach Schottland nicht umsonst gewesen wäre, sondern ganz im Gegenteil eine wertvolle Erfahrung für’s Leben darstelle. Hassan wiederholte diesen Satz immer wieder in der Hoffnung, sich eines Tages dieser Erkenntnis emotionslos anschließen zu können.

Ein bißchen allerdings, kam in mir der Verdacht auf, verfolgte Hassan mit der Ausbreitung seiner Geschichte auch den Zweck, mir zu zeigen, wie glücklich ich mich angesichts solch zuverlässiger und ehrenwerter Vermieter schätzen konnte. Ich schmunzelte in mich hinein, ohne mir allerdings äußerlich etwas anmerken zu lassen, und besann mich schließlich des Ernstes der Lage. – Nein, ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie enttäuscht Hassan angesichts des fehlgeschlagenen Versuchs, in Großbritannien Karriere zu machen, sein mußte. Es war eine Kapitulation auf ganzer Ebene. Denn er hatte auch seine – wenn auch nicht hochbezahlte – Stelle im Öffentlichen Dienst in Syrien aufgegeben. Sicherlich würde er wieder irgendwo eine neue, möglicherweise aber weniger interessante und sowieso nicht besser bezahlte Stelle im öffentlichen Dienst bekommen können. Doch der Gesichtsverlust, der einem völligen Motivationsverlust gleichzukommen schien, wog schwer. Deshalb hatte er sich auch nicht gleich bei mir gemeldet, obwohl die Miete (ich zahle immer alle vier Monate) Ende Juli fällig war.

Hassan tat mir leid. Aber, wirklich erstaunt über das Ergebnis seiner Exkursion war ich keineswegs. Schon vor seiner Ausreise hatte ich versucht, seinen Optimismus zu dämpfen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß es in Schottland so einfach sein sollte, einen Job zu ergattern, d.h. ohne einschlägige Berufserfahrung in Marketing, ohne britischen Paß und Sprachkenntnisse, die sich mit denen eines Muttersprachlers vergleichen ließen. – Seitdem ich von Hassans Wunsch erfahren hatte, im Bereich Marketing zu arbeiten, hatte ich ihm mehrfach vorgeschlagen, sich entweder als lokaler Kurzzeitexperte in unserem Projekt oder als Mitarbeiter im Zentrum für Strategische Gesundheitsstudien zu bewerben. Ich hatte ihm auch die Kontaktdaten des Projekts und der Direktorin des Zentrums mitgeteilt. Aber Hassan war nie darauf eingegangen, entweder weil er befürchtete, ohne Vitamin B keine Chance zu haben, oder weil er sich damals zu sehr auf die Idee, nach Großbritannien zu gehen, versteift hatte.

Als ich ihm diesmal, d.h. bei seinem Besuch Anfang August, wieder den gleichen Vorschlag machte, schien er ihn immerhin in Erwägung zu ziehen. Erneut gab ich ihm Namen und Telefonnummern und versprach obendrein eine Email mit seinem Lebenslauf an beide, die Leiterin des Zentrums und den Projektdirektor, zu schicken. Und tatsächlich sandte mir Hassan ein paar Tage später seinen Lebenslauf per e-mail zu, den ich sogleich ‚nach oben’ weiterleitete. Es dauerte dann noch einige Wochen, ehe der Vertrag für 4 Monate Kurzzeitexpertentätigkeit ausgearbeitet und unterschrieben war.

Anfangs war Hassan voller Euphorie und Tatendrang ob seiner neuen Entfaltungsmöglichkeiten. Er übernahm zusätzlich nicht vertraglich vereinbarte Tätigkeiten und riß mehr und mehr Verantwortlichkeiten an sich - all das unter dem Vorwand und eigener Überzeugung, dies seien ureigenste Marketingaufgaben... So sah ich mich schon bald veranlaßt, ihn freundschaftlich darauf hinzuweisen, daß am Ende nur die Erreichung der vertraglich festgeschriebenen Arbeitsergebnisse zählten. Indes Hassan ließ sich nicht in seinen Enthusiasmus zügeln. Ich sah ihn nicht allzuoft, und wenn, dann berichtete er mir einerseits stolz, andererseits stöhnend, welche Arbeitsflut er bewältigte. Meine mütterlichen Ermahnungen, sich aufs (vertragliche) wesentliche zu konzentrieren, schienen nicht zu fruchten.

Einmal wurde ich von meiner syrischen Counterpart im Zentrum gebeten zu intervenieren und die Erstellung eines Dokumentes, das Hassan als ureigenste Marketingaufgabe – und damit SEINE - ansah, unter meine Fittiche zu nehmen, damit es noch rechtzeitig und mit dem ursprünglich beabsichtigten Inhalt für den neuen Masterkurs fertig würde. Die Zeit war inzwischen knapp geworden. Hassan schob Überstunden, lobte sich selbst und beklagte das Management im Projekt und unzulängliches Commitment innerhalb des Zentrums. Natürlich hatte er damit bis zu einem gewissen Grad recht, allerdings schien er völlig zu übersehen, daß das Ansichreißen von Aktivitäten seinerseits andere – deutlich schlechter bezahlte – syrische Kollegen nicht gerade ermunterte, Verantwortung zu übernehmen, ja nicht einmal für deren eigene Aufgaben, da Hassan diese in der Zwischenzeit eigenmächtig zu Marketingaufgaben erklärt hatte, für die er das Monopol übernommen zu haben schien.

Hassans Vertrag wurde – obwohl zwischenzeitlich versprochen – nicht verlängert, was ich schade fand. Nach Abschluß der vier Monate schrieb er in aller Eile noch die Marketingstrategie für den Abschlußbericht – die Erstellung der Marketingstrategie war eine der vertraglich festgelegten Hauptaufgaben, zu denen er leider wegen der vielen anderen freiwillig oder eigenmächtig übernommenen Verpflichtungen nicht gekommen war.

Hintergrund der versagten Verlängerung von Hassans Vertrag war die Verlängerung des gesamten Projektes um ein Jahr, d.h. bis April 2010, allerdings ohne zusätzliche Mittelbereitstellung. Das hatte das Projektmanagement veranlaßt, die weiteren Experteneinsätze neu und vorsichtig zu planen. Mein eigener Vertrag lief im November 2008 aus. Ich hatte auf meine Anfrage an das Projektkonsortium einige Wochen zuvor erst keine Antwort, später dann die vage Verheißung einer Vertragsverlängerung bis April 2009 erhalten, allerdings physisch keinen Vertrag zugeschickt bekommen. Deshalb war ich glücklich, daß ich im Auswahlverfahren für einen anderen Job in einem Projekt in der Ukraine eine neue Stelle winkte. Es vergingen etliche Wochen, ehe ich dann doch einen neuen Vertrag für das Projekt in Syrien bekam: 154 bezahlte Arbeitstage abzuleisten zwischen Januar und Ende Oktober 2009.

Die Entscheidung für Syrien fiel mir nicht schwer: ich wollte meine Arbeit nicht mitten im Projektverlauf verlassen, das Unterrichten gefiel mir, die Arbeit mit den syrischen Kollegen und dem Projektleiter machte mir Spaß, ich hatte eine bereits eingerichtete Wohnung in Damaskus, das Klima war deutlich wärmer als in Deutschland oder gar der Ukraine. Und doch tat es mir leid, dem Projekt in der Ukraine abzusagen: es wäre eine neue reizvolle Aufgabe gewesen, der Projektleiter schien auf einer Wellenlänge (Bach) zu liegen und ich hätte nach vier Jahren endlich wieder die Gelegenheit gehabt, Russisch zu sprechen. Zudem plante meine frühere Kollegin Oxana, ab Januar 2009 für ein Jahr als Projektleiterin nach Kiew zu gehen. – Schade, aber ich kann mich nicht teilen.

Hassan bleibt mir also erhalten, zwar nicht mehr als Kollege im Projekt, jedoch als Sohn meiner Vermieterin. Diese Rolle hat er stets mit ähnlicher Gewissenhaftigkeit und Engagement ausgeführt wie seine Marketingprofession. Vor allem hat sich Hassan von Anfang als Mittler zwischen zwei Kulturen verstanden, und ganz konkret als Mittler zwischen seiner Mutter (als Vermieterin) und mir (als Mieterin). Bei den wenigen Gelegenheiten, die ich seine Mutter traf, hatte Hassan stets mäßigend auf die Mieterhöhungswünsche seiner Mutter gewirkt. Normalerweise verzichtete er großzügig auf die Übersetzung entsprechender Willensbekundung seiner Mutter. Ich überhörte mit naiver Unschuld die in syrisch-arabischem Dialekt ausgesprochenen Versuche seiner Mutter, das Thema der steigenden Lebenshaltungskosten und daraus resultierenden Notwendigkeit zur Erhöhung meiner Wohnungsmiete über Hassan an mich heranzutragen. Was Hassans abschlägige Haltung anbelangt, so gingen meine Vermutungen in die Richtung, daß Hassan sehr wohl die NORMALEN Mieten in Damaskus kannte (daher keine Veranlassung für eine Erhöhung sah) oder er möglicherweise – wovon dem eigenen Be- und Erkundungen zufolge etliche Männer leiden – einfach konfliktscheu war. Als seine Mutter das Thema zum letzten Mal im Spätsommer 2008 an ihn zur weiteren Übersetzung herantrug – ich war für ein Wochenende zu Gast bei der Familie in Latakia, hatte ich den Eindruck, daß er das Thema Mieterhöhung vielleicht auch aus einer Art Dankbarkeit mir gegenüber vermied. Ich fand, daß die Miete von 20.000 syrischen Pfund für 3 Zimmer Plattenbauwohnung in einem nicht zu den privilegiertesten zählenden Vierteln Damaskus keineswegs erhöhungsbedürftig sei, weshalb ich das Thema verständlicherweise nie meinerseits ansprach. Außerdem hatte ich die Wohnung beim Einzug komplett neumöbliert, und die Möbel würde ich garantiert nicht nach Deutschland mitnehmen...

Dennoch ahnte ich, daß sich das Thema Mieterhöhung langfristig, insbesondere sollte mein Projektvertrag verlängert werden, nicht vermeiden lassen würde. Und ich sollte recht behalten.

Anfang Januar 2009 trat ich den Dienst wieder an. Als ich nach mehrstündigem Flug mit Zwischenstop in Istanbul nachts die Wohnung in Damaskus betrat, bemerkte ich – trotz Halbschlaf - gleich die offene Balkontür. Die Wohnung war ausgekühlt, was nicht nur an der offenen Balkontür, sondern auch an der abgeschalteten Heizung lag. Der Blick ins Bad und aufs Bett machten mir klar, daß sich in der Zwischenzeit jemand eingenistet hatte. (Bei meinen früheren Abwesenheiten, war Hassan ab und an in die Wohnung gekommen. Er hatte zweimal das Licht angelassen. Diesmal konnte das kaum sein, da ich Ende Oktober den ihm zur Verfügung gestellten Schlüssel wieder in meine Obhut genommen hatte. Ich brauchte den Schlüssel für zwei Gäste aus Latakia, Teilnehmerinnen des Trainings.) Ich inspizierte die Wohnung. Anhand der Spuren im Bad und der kurzen weichen Haare auf dem Kissen konnte es sich bei dem heimlichen Wohnungsnutzer nur um eine Katze gehandelt haben. – Ich hatte früher schon das ein oder andere Mal eine Katze im Schaukelstuhl auf dem Balkon beobachtet, die bei meinem Erscheinen regelmäßig zum Nachbarbalkon sprang.

Ich schloß die Balkontür, bezog das Bett neu und schlummerte friedfertig in einen langen wohlverdienten Schlaf. Am späten Vormittag machte ich mich auf, die Spuren meines ungebetenen vierpfotigen Gastes wegzuwischen, das Bettzeug in der Waschmaschine zu waschen und die Umzugskartons wieder auszupacken, die ich vor meiner Abreise im November schon gepackt hatte. Am Nachmittag begab ich mich zu Abu Mohammed, um für warmes Wasser und Heizung zu bezahlen, das sich am folgenden bzw. darauffolgenden Abend auch tatsächlich einfand. Abu Mohammed wohnt mit seiner Frau und Kindern in der Wohnung direkt unter mir und kümmert sich nunmehr um die gemeinschaftlichen Belange der Mieter – wie z.B. das Einsammeln des Wasser- und Heizgeldes etc. –, nachdem meine Nachbarin Muna – der dies bis dahin oblag - vor ein paar Monaten ausgezogen war.

Abu Mohammed konsultierte ich dann auch, als ich am folgenden späten Nachmittag – im Winter wird es recht früh dunkel - beim Betreten der Wohnung SCHWARZ sah. Offensichtlich hatte das Elektrizitätswerk in Ermangelung eingegangener Gebühren kurzerhand meinen Strom abgeschaltet. Zum Glück funktionierte wenigstens das Gas noch, so daß ich mir bei Kerzenschein noch schnell das Essen vom Vortag aufwärmen konnte. Abu Mohamed versprach, sich meines Problems, d.h. der gekappten Stromleitung und der immer noch nicht angestellten Heizung, anzunehmen. Dann machte ich mich auf zu Syriatel, die meine Simkarte während meiner Abwesenheit deaktiviert hatten. Als Ergebnis mußte ich mir eine neue Simkarte kaufen, wozu ich allerdings meinen Paß brauchte, den ich beim ersten Besuch nicht dabei hatte (ich hatte naiverweise gehofft, das Problem ließe sich durch eine Reaktivierung beheben...). Beim zweiten Besuch bei Syriatel hatte ich dann den Paß dabei, allerdings nur einen kleinen Geldbetrag, der neben der Summe für die neue Simkarte nur für 400 Einheiten ausreichte. Als ich dann – nachdem ich glücklicherweise noch bei einem Geldwechsler – genügend syrische Pfund eingetauscht hatte, ein zweites Mal bei der Syriatel-Verkaufsstelle vorbeischaute, um noch 2600 weitere Einheiten zu kaufen, wurde ich auf MORGEN vertröstet, da man am ersten Tag des Ankaufs einer SIM Karte immer nur EINMAL Einheiten einkaufen könne. Ich hatte bereits 400 Einheiten gekauft! Immerhin war der Mann so freundlich, durch einen Anruf seines Handys MEINE neue Handynummer ausfindig zu machen, die leider nirgends in den Papieren zu finden war. Als ich am nächsten Tag vorbeischaute, um eine Prepaidkarte von 2600 Einheiten zu kaufen, hatte ich leider mein Handy nicht dabei, der Verkäufer meine Handynummer wieder gelöscht und Prepaidkarten als solche gab es nicht (nur per Computertransfer). Zum Glück gab es aber andere Geschäfte, die Prepaidkarten verkaufen – so sie denn welche haben, und nach zwei weiteren Tagen hatte der Laden um die Ecke, wo ich normalerweise meine Prepaidkarten kaufe, zwar keine Karten, aber der Verkäufer die Idee, über sein Handy Einheiten für mein Handy (dessen Geheimnummer man über irgendeinen Geheimcode auch ausfindig machen kann, so man denn das Handy mit sich führt, und das hatte ich an dem Nachmittag glücklicherweise) zu kaufen. Prima, hat wirklich funktioniert.

Abu Mohamed hatte in der Zwischenzeit mein Stromproblem gelöst (besser nicht nachfragen wie...), mir aus dem Haufen von Rechnungen, die hinter der Wasserleitung neben der Eingangstür des Wohnhauses klemmten, mir meine beiden Rechnungen, die am Morgen (des Nachmittags, an dem der Strom abgeschaltet worden war) erst eingegangen waren, herausgefischt und ich ihm hoch und heilig versprochen, gleich am nächsten Morgen die Rechnungen zu begleichen. Das tat ich denn auch, und zwar an dem Kiosk, der ohnehin auf dem Weg zur Arbeit liegt. 800 syrische Pfund, etwa 13 EUR. Das war der Betrag, der sich seit Juli 2008 (da war die letzte Rechnung gekommen) angesammelt hatte. Ein durchaus verkraftbarer Betrag, entschied ich und fragte mich, warum mich meine syrischen Kollegen vor den hohen Kosten gewarnt hatten, die der Betrieb einer Klimaanlage mit sich brachte. Nun, ich hatte die Klimaanlage daraufhin auch nur in äußersten Notfällen, d.h. für meinen Arabischlerner, in Betrieb genommen.

Hassan hatte ich Mitte Dezember bereits per e-mail von meiner bevorstehenden Anreise verständigt, aber keine Antwort erhalten. Wie er mir später sagte, hatte er keinen Zugang zum Internet. Als ich Hassan nach meiner Ankunft in Damaskus nicht gleich per Handy erreichten konnte, schickte ich ihm – was dank meiner neuen SIM Karte kein Problem mehr darstellte - eine SMS und bat ihm, sich der abgestellten Telefonleitung in meiner Wohnung (die Telefonrechnung war nicht bezahlt worden) anzunehmen. Kurze Zeit später meldete er sich, wir vereinbarten den nächsten Abend für die Übergabe der ausstehenden Wohnungsmiete. Er kam nicht. Erst am nächsten Abend meldete er sich mit der Bitte, ob ich zu ihm kommen könne, da er sich nicht wohl fühle. Das klang seltsam. Wenn er sich tatsächlich unwohl fühlte, hätten wir das Treffen auf einen anderen Abend verlegen können. Ich ahnte, daß noch mehr hinter der Verlegung des Treffpunktes stand. Es mußte die Mieterhöhung sein, die er bereits zwei Tage zuvor nebulös als Wunsch seiner Mutter und mögliches Thema des baldigen Treffens angedeutet hatte, die sein Unwohlsein verursachte. Vielleicht empfand er es als marketingtechnisch aussichtsreicher, die Verhandlungen auf seinem Terrain (Wohnung) zu führen, anstatt wie ein Bittsteller in meine Wohnung zu kommen.

Ich hatte mir vorher überlegt, bis zu welchem Betrag ich bereit war, draufzulegen, bzw. ab welcher Forderung ich mich nach einer anderen Bleibe für die kommenden 10 Monate umschauen würde. Seine Mutter konnte kein Interesse haben, mich zum jetzigen Zeitpunkt als Mieterin zu verlieren. Es war WINTER, und somit keine Saison, um an reiche Saudis zu vermieten, die sich im Sommer in Damaskus verlustieren... Anderseits konnte ich kein Interesse haben, meine Zeit mit Wohnungssuche, Anstreichen und Umziehen zu verschwenden.

Was zu meinem Nachteil war: ich hatte im Sommer in Latakia die Gastfreundschaft der Familie genossen, wenn auch nur für ein Wochenende. Hassans Eltern hatten mir Ugharit gezeigt, waren mit mir ans Meer gefahren, dann zu einem Staudamm in den Norden, Richtung Türkei, mich mehrfach ins Restaurant eingeladen, hatten mit mir die Orangenplantage des Onkels und danach den Onkel selbst besucht. Das alles konnte ich nicht ignorieren. Außerdem war ich eine Ausländerin, die durchaus nicht schlecht verdiente (was Hassan natürlich wußte), insofern mußte die Miete höher ausfallen als die für Syrier oder geflüchtete Iraker. Hassans Familie war mir durchaus sympathisch, besonders sein Vater, der wie ich Agrarwissenschaften studiert hatte.

Als ich nun bei Hassan eintrat (beim Eintritt in seine Wohnung in Damaskus befindet man sich sofort im Wohnzimmer), begrüßten wir uns ausführlich. Er erzählte von seiner aktuellen Lehrtätigkeit im Bereich Marketing bei einer privaten Universität, die leider nur einige Wochenstunden in Anspruch nehme und daher nur einen geringen Teil des Honorars einbringe, das er in unserem Projekt erhalten habe. Wir hatten uns eine Stunde ausgetauscht, ehe wir uns dem Thema Miete näherten. Ich hatte den Betrag für Dezember sowie die drei folgenden Monatsmieten abgezählt dabei, und zur Sicherheit vorahnungsvoll noch etwas mehr Geld umgetauscht.

Vorsichtig trug mir Hassan das Ansinnen seiner Mutter vor, begleitet von der Versicherung, man habe seinerzeit die Wohnung für deutlich mehr vermieten können, aber dann doch die Wohnung an mich vermietet (weil man sie bei mir in guten Händen wußte). Ich machte einige Kommentare und vorsichtige Einwendungen meinerseits, versicherte, daß ich den Wunsch seiner Mutter durchaus grundsätzlich nachvollziehen könne, bevor ich dann ein vages Interesse bekundete, indem ich vorsichtig nachfragte, welche Summe sich seine Mutter den vorgestellt hatte. Die Antwort, die mir Hassan gab, hatte ich durchaus erwartet, dennoch war ich keinesfalls bereit einzulenken: 100 USD mehr pro Monat. Das kam einer Steigerung um 25 Prozent gleich. Wieder gingen die Argumente hin und her. Ich erzählte von dem Haus, das ich in Deutschland an einen guten Freund vermietet habe, Hassan von seinen augenblicklich fehlendem Einkommen und der Großzügigkeit seiner Mutter, ihn durch die Beteiligung an der Miete zu unterstützen. – Das war ein Argument, dem ich mich nur schwer entziehen konnte. Ich mußte grinsen. Ob seine Mutter ihn wirklich finanziell unterstützte. Es war zumindest nicht auszuschließen.

Ich machte den Kompromißvorschlag: ‚die Hälfte, 50 USD’. – ‚60 Dollar’, schoß es augenblicklich aus Hassan heraus. - Ich mußte noch mehr grinsen. Das was so gar nicht der Hassan, den ich bislang kennengelernt hatte. Das hier sah verflixt nach ANGEWANDTEM MARKETING aus.

An den 10 Dollar wollte ich es nicht scheitern lassen. Wir legten den Betrag in syrischen Pfund fest, da ich die Miete ohnehin in syrischen Pfund zahlte. 3000 Syrische Pfund mehr pro Monat, was angesichts der Miete von 20.000 SYR immerhin einer Erhöhung um 15 Prozent gleichkam.

Ein Grund, Hassan und seiner Mutter entgegenzukommen, war mein Freund und Kollege, Peter, sowie diverse Gäste, auf deren Besuch ich 2009 hoffte. Das großzügige Übersehen arabischer Anstandssitten seitens Hassans Mutter mußte mir, einer alleinstehenden Frau, 3000 syrische Pfund wert sein. Hassan war sich dessen bewußt, nicht umsonst hatte er mich während des Gespräches gefragt, ob und wann ich Peter erwartete.

Beim Abschied versprach Hassan, sich meiner Telefonleitung anzunehmen. Er bat um 500 syrische Pfund für die Begleichung der Telefonrechnung, von der wir beide nicht wußten, in welcher Höhe sie sich bewegte, vermutlich niedriger. Ich gab ihm den 500 Pfund Schein, und bat ihn eindringlich, mir später zu sagen, wenn es mehr gewesen sei. Er solle schließlich nicht draufzahlen. Wir lächelten beide. Ich verabschiedete mich und düste mit meinem Kinderroller davon.

Zwei Tage später: Das Telefon funktioniert wieder. Hassan hat Wort gehalten. – Es ist ein schönes Gefühl, in einer Wohnung zu sitzen, in der die Elektrizität nicht abgestellt ist, die Heizung am Wochenende und werktags zwischen 17.00 und 22.00 h funktioniert (so kalt wie in Deutschland ist es ohnehin draußen nicht), ganztägig Wasser (und abends sowie am Wochenende auch warmes) vorhanden ist, ich per Telefon und Handy für die Außenwelt erreichbar bin. Was will man mehr?!

Das ist wirklich ein schöner Jahresbeginn.

PS: Als ich später Peter am Telefon von der Mieterhöhung erzählte, meinte er nur spöttelnd über meine deutsche Knauserigkeit, ich hätte ruhig die 100 Dollar zahlen sollen, woraufhin ich ihn dazu verdonnerte, in Zukunft die mit Hassan vereinbarten 3000 (zum Glück nur syrische, nicht britische) Pfund als seinen Mietanteil zu zahlen.

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© Text, Graphik und Photos: Anne Christine Hanser 2009
Autorin: Anne Christine Hanser, International Advisor, Damaskus, Syrien
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