Bernhard Peter
Der Registan-Platz in Samarqand

Wörtlich bedeutet „Registan“ (usb. Registon) „Sandplatz“. Das Wort bezeichnet den öffentlichen Hauptplatz einer Stadt, der für politische Versammlungen, Paraden, öffentliche Akte wie Verkündigung von Gesetzen und Erlassen, Bestrafungen, Hinrichtungen etc. benutzt wurde. Wenn kein öffentlicher Anlaß war, fand hier früher reges Markttreiben statt. Diese Rolle als Platz für politische und öffentliche Akte spielte der Registan auch bei der Eingliederung Usbekistans in das Sowjetreich: Hier wurde 1917 die Rote Fahne gehißt, hier verbrannten die Frauen symbolisch ihren Gesichtsschleier.

Der berühmteste Registan ist wegen seiner einzigartigen Bebauung der von Samarqand: Drei Medresen, drei ähnliche Bauwerke sind über Eck zu einer Dreier-Komposition zusammengefügt, die ihresgleichen nicht findet. Drei separate Bauwerke fügen sich zu einem einzigartigen städtebaulichen Gesamtkonzept zusammen. Die Portale sind aufeinander ausgerichtet, die Gebäudeecken korrespondieren – wie aus einem Guß. Drei theatralisch kulissenhafte Fassaden rahmen den Platz. Kaum zu glauben, daß die Bauwerke unterschiedlichen Bauperioden angehören und sich dennoch so harmonisch zusammenfügen. Wenn, dann würde man die Grenze ziehen zwischen der Ulugh-Beg-Medrese und der Shir-Dor-Medrese einerseits und der Tillja-Kari-Medrese andererseits – stilistisch vielleicht, doch tatsächlich verläuft die zeitliche Grenze zwischen der Ulugh-Beg-Medrese einerseits und den beiden anderen Bauten andererseits, mehr als 200 Jahre trennen die beiden Bauphasen voneinander. Angelegt wurde der Platz erstmalig unter Ulugh Beg, von seiner ursprünglichen Bebauung hat sich aber nur seine Medrese erhalten.

Drei massive Blöcke rahmen den Platz an drei Seiten, jeder mit einem quadratischen zentralen Innenhof. Die drei Haupteingänge sind alle auf den Platz ausgerichtet, so daß der Platz selbst wie ein riesiger offener Vorraum zu allen drei Gebäuden wirkt. Im Detail konkurrieren aber architektonische Platzgestaltung und religiöse Funktion. Die Lage der Haupteingänge wird durch den zentralen Platz von ca. 60 x 70 m bestimmt, die Lage der Gebetsräume durch die Qibla-Richtung. So kommt es, daß die linke und obere Medrese jeweils eine großräumige Gebetshalle im Westtrakt besitzen, die rechte Medrese aber nicht. Diese Konkurrenz zweier Gestaltungsprinzipien führt auch zu weitere Asymmetrien wie der einseitigen Tambour-Konstruktion der mittleren Tillja-Kari-Medrese, die in die vollendete Harmonie einen Hauch von Exzentrik einträgt.

Um so klarer wirkt die Geometrie der Anlage, die Entsprechung der Bauelemente, der Gleichklang der drei Baukörper, wenn man sie sich in das chaotische Gassengewimmel einer orientalischen Altstadt eingebaut vorstellt. Geometrie und Raum wird hier zum Symbol der öffentlich zur Schau gestellten Macht und Größe diesen in den Dienst der Herrschers gestellten städtebaulichen Projektes. In der Tat war der Registan ein Projekt imperialer Größe, für das einst ein ganzes Stadtviertel weichen mußte, das aber ein urbanes Zentrum werden sollte, wie es einer der wichtigsten Handelsstädte an der Seidenstraße gebührt.

Der Registan ist aber auch ein Spiel mit Raum, mit Innenraum und Außenraum. Die acht Minarette spannen drei Raumkompartimente in Folge auf. Die beiden äußeren Räume sind bebaute Einheiten mit "Innencharakter", in denen wiederum der Innenhof in weiteres Raumkompartiment geringerer Größe und mit einem relativen "Außencharakter" darstellt. Das mittlere Raumkompartiment ist als Platz zwischen beiden Baueinheiten eigentlich ein Außenraum, erhält aber durch das strenge Kosh-Prinzip und die perfekte Einrahmung relativen "Innencharakter". Die vollkommene Harmonie des Platzes ergibt sich somit auch aus dem Wechselspiel von Innenraum und Außenraum und dem Spiel aus Abgrenzung und Verbinden derselben durch Iwane, Torwege etc, aber vor allem auch durch übergeordnete Strukturen.

Im Detail kann man an den drei Medresen sehr schön die kunstgeschichtlichen Entwicklungen nachvollziehen, so z. B. die Wandlung der Hof-Iwane von echten Eingängen (links in der ersten Abb.) über blind endende Räumen (rechts) zu bloßen Zierelementen (oben), die Wandlung der Eingangs-Iwane von rechteckig (rechts und links) zu polygonal (oben), die Wandlung der Fassadengliederung von flächig (rechts und links) zu Blendarkaden (oben).

Das, was wir heute am Registan bewundern, ist das Ergebnis umfangreicher Restaurierungsarbeiten. Erdbeben, extreme jahreszeitliche und tageszeitliche Temperaturschwankungen, ganz normaler Verfall und die Vernachlässigung der Bausubstanz aufgrund des wirtschaftlichen Niedergangs im 18. und 19. Jh. haben die prächtigen Bauwerke zu Ruinen werden lassen: Portale und Kuppeln waren ganz oder teilweise zerfallen, die Türme neigten sich schon gefährlich zur Seite und mußten wieder gerade aufgerichtet werden, und die keramische Verkleidung der Fassaden war zum Teil abgesplittert. Hierbei war die geometrische Regelmäßigkeit der repetitiven Muster eine wichtige Rekonstruktionsvoraussetzung. Zwei große Restaurierungskampagnen fanden in den 1920ern und den 1930ern statt; die umfassendste Restaurierung jedoch war zwischen 1967 und 1987.

Der Registan-Platz - Photos
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