Anne Christine Hanser
Reportagen aus Syrien, Teil 4:
Der Umzug. Oder: WIR SIND DRIN...

Eigentlich schreibe ich aus Prinzip nicht über die Arbeit. Aber über einen Umzug zu schreiben ist etwas anderes.

Als unser Team Ende November 2006 mit der Arbeit im Projekt (Technical Assistance for the Center of Strategic Health Studies) begann, erzählten uns unsere syrischen KollegInnen von dem neuen Gebäude, in das wir bald einziehen würden.... Unser Team, das waren damals Angelo, unser Teamleiter, Mohammed, zuständig für Public Health, und meine Wenigkeit, zuständig für den Aufbau eines Masterkurses in Krankenhausmanagement. Peter, für Gesundheitsökonomie zuständig, stieß erst Ende Februar zu uns.

Dr. Gazel, mein syrischer Counterpart, hatte die Ehre, unserem Team und den damals zum Projektbeginn eigens angereisten Vertretern des Consortiums, das das Projekt durchführt (die Liverpool School of Tropical Medicine, die London School of Tropcial Medicine and Hygiene sowie BMB) das neue Gebäude zu zeigen. Wir alle waren sichtlich beeindruckt. Ein vierstöckiger Bau mit einem ansehnlichen Audimax und einer Reihe von Seminarräumen, einem Computerlabor, zwei kleineren Bibliotheken, einer Cafeteria, einer Küche auf jedem Flur und jede Menge Büroräume. Wir stellten eine Hochrechnung an, nach der statistisch auf jeden der 10 oder 15 Mitarbeiter des Zentrums für Strategische Gesundheitsstudien mindestens 2 bis 3 Büroräume kämen. – Klar, daß das Zentrum bald den Personalbestand aufstocken würde, aber für den Anfang hörte sich das doch ganz gut an.

Alles schien für den Projektstart vorbereitet zu sein. Paradiesische Zustände... Was noch fehlte, waren die Möbel und Computer, aber auch da beruhigt man uns: Das wird von dem großen EU-Gesundheitsprogramm beschafft.

Herrlich, wenn das bloß so in jedem Projekt wäre, dachten wir. Gar kein Problem, in der Zwischenzeit könnten wir internationale Experten unsere vom Consortium gestellten Notebooks benutzten und unsere syrischen Kollegen könnten doch sicher die Möbel und PCs aus dem beiden Vorgängereinrichtungen (‚Institute of Public Health, und ‚Center for Health Management Studies’) mitnehmen.

Westeuropäisch, wie wir alle nun mal sind – ups, Mohammed kommt ursprünglich aus Pakistan, hat aber lange in den Niederlanden gelebt und besitzt die niederländische Staatsbürgerschaft - fragten wir nach den geplanten UmzugsTERMIN. ‚Ende des Jahres’, war die Antwort. Nun, das machte noch 6 Wochen, die wir uns in den Räumlichkeiten des Center for Health Management Studies, das in einem dem Gebäude des Gesundheitsministeriums untergebracht war, herumzwängen würden. – Das war zu schaffen, dachten wir uns, zudem würden Angelo und ich zu Weihnachten und den Eidfesttagen am Ende des Jahres nach Hause fahren.

Bevor wir ein paar Wochen später in die Weihnachtsferien aufbrachen, schärften wir Mohammed ein, uns nach vollzogenen Umzug sofort eine e-mail zu schicken. Mohammed, der eigentlich aufgrund seiner Erfahrung in den Niederlande mit Weihnachten und Pakistan mit Eid hätte wissen sollen, daß an solchen Tagen gar nichts läuft, hatte unverdrossen beschlossen, die Feiertage hier in Damaskus zu verbringen. Er ließ sich von keinen guten Ratschlägen unsererseits noch seitens der syrischen Kollegen abhalten. Nun gut. War ja seine Sache.

Die nächsten beiden (Urlaubs)Wochen verliefen vollkommen ruhig. Keine Lebenszeichen von Mohammed und auch keine Nachricht von dem Umzug.

Der Umzug war verschoben worden und sollte nun Ende Januar stattfinden, erfuhren Angelo und ich bei unserer Rückkehr Anfang Januar. Drei bis vier weitere Wochen waren zu verschmerzen, angesichts der verlockenden Aussicht, bald mit einem eigenen Büroraum für das Warten entschädigt zu werden. Wir setzten unsere Suche nach einer Officemanagerin fort und stellen diese dann auch Ende Januar ein. Jetzt waren wir vier: Drei Langzeitexperten und eine syrische Officemanagerin. Für Februar erwarteten wir den Ersatz für den ausgefallenen Gesundheitsökonom (Peter kam dann Ende Februar). Das machte dann 5 Personen. Die Suche nach einer zusätzlichen Sekretärin hatten wir erst einmal angesichts der beengten Verhältnisse auf Eis gelegt.

Daß wir auch Ende Januar nicht umzogen, wurde bald zur Gewißheit. Auch Februar und März verstrichen, ohne daß es konkrete Anzeichen für einen Umzug gab. Immer wieder wurde der in Aussicht gestellte ‚Ende des Monats’ auf den nächsten Monat verschoben.

Erst hieß es, daß die Möbel noch nicht eingetroffen seien, dann schien der Computerlieferant Probleme zu bereiten. Im April schien Bewegung in die Angelegenheit zu kommen: Der Umzugstermin hieß nicht mehr ENDE DES MONATS (April), sondern MITTE des Monats (APRIL). Erstmals wurde auch ein präzises Datum ins Spiel gebracht: der 15 April. Der Minister würde kommen und das Gebäude einzuweihen. Unmöglich, das neue Gebäude VOR der Einweihung durch den Minister zu beziehen, sagte man uns, als wir Überlegungen anstellten, doch schon vor der OFFIZIELLEN Einweihung umzuziehen.

Unglücklicherweise hatte ich ausgerechnet für Mitte April schon zwei Monate zuvor meinen Kurztrip in den Jemen gebucht. (Ich hatte noch eine Reihe von Büchern, Kleidern und sonstigen Habseligkeiten in meiner alten Wohnung in Jemen, die ich eigenhändig über den Luftweg nach Syrien schaffen wollte, alles andere wäre paradoxerweise viel zu teuer geworden.) Das verlängerte Wochenende Mitte April hatte sich einfach angeboten: Der 15. und 16. waren Brückentage zwischen dem Wochenende und dem 17. April, einem nationalen Feiertag in Syrien (ich glaube es war der Märtyrertag...aber ich kann mich auch irren).

‚Wirklich schade aber auch’, dachte ich, ‚daß ich nicht selbst an dem historischen Ereignis teilnehmen werde.’ Aber den Flug (eine spezielle Offerte) verfallen lassen wolle ich auch nicht. – Schweren Herzens brach ich am Donnerstagabend in den Jemen auf. Es hätte mich eigentlich nicht überraschen sollen, daß das neue Gebäude NACH meiner Rückkehr immer noch nicht eingeweiht war. Zu meiner Entschuldigung muß ich anführen, daß ich (i) noch NEU in Syrien war, (ii) mir meine jemenitischen Kollegen die Fata Morgana eines perfekt organisierten syrischen Staatswesens vermittelt hatten, BEVOR ich hierhergekommen war und (iii) ich mir keinen plausiblen Grund vorstellen konnte, der den Umzug hätte verzögern können.

Der Minister habe keine Zeit, hieß es von syrischer Seite. Und das auch nur, weil ich so eindringlich nachgefragt hatte. Den ausdruckslosen Gesichtern der Sekretärinnen zufolge hätte man annehmen können, daß der 15 April meiner Phantasie entsprungen war. Auf rücksichtsvolles Verständnis hingegen stieß ich bei Dr. Hasam, meinem syrischen Kollegen, mit dem ich allnachmittäglich das Taxi nach Hause teilte (er aber immer bezahlt, trotz meiner Proteste). ‚Das neue Gebäude ist schon seit 2 Jahren einzugsbereit. Seit damals heißt es, wir ziehen bald um.’ Dr. Hasam und ich vereinte das besondere Schicksal, daß unsere Wohnung in Gehnähe zum neuen Zentrum lagen, wir statt dessen aufgrund der Entfernung des jetzigen Arbeitsplatzes aber jeden Morgen und jeden Nachmittag ein Taxi finden mußten. Auch Dr. Gazal, meine unmittelbare Kooperationspartnerin im Zentrum, sprach stets wehmütig von der erheblichen Verbesserung, und insbesondere der kürzeren Entfernung, die der zukünftige Arbeitsplatz im neuen Gebäude mit sich bringen würde.

Nur, nichts geschah.

Ab und an, versuchte unser Teamleiter das Thema auf die Tagesordnung zu hieven, ohne durchschlagenden Erfolg. Hier und da sprachen wir mit der EU, dem Ministerium, unseren Konsortialvertretern, aber immer ohne konkrete Lösung. Mit jedem Monat verloren wir ein Stückchen mehr Hoffnung, und mit jedem Kurzzeitexperten ein weiteres Stückchen Bewegungsfreiheit im Office. Es war einfach eng.

Im Mai war es, als das Gerücht aufkam, es seien einige PCs aus dem neuen Gebäude gestohlen worden. Da diese Information nur unter vorgehaltener Hand und unter dem Siegel der strengsten Vertraulichkeit weitergegeben wurde, erfuhren wir nie offiziell (ob es nun 7 oder 11 Computer waren, die verschwanden.) Immerhin hörten wir kurz darauf, daß ein Wächter eingestellt worden war, der das Gebäude tags und nachts über bewachen sollte. –  ‚Hm, dachte ich, die Tagesschicht könnte man sich schenken, wenn das Gebäude tagsüber GENUTZT würde.’

Ende Juni platzte dann Angelo die Hutschnur, aber eigentlich war das nur inszeniert. Im Beisein der stellvertretenden Leiterin des Zentrums bat er Zina, sich nach konkreten Möglichkeiten umzuschauen, Büroräume für unser Projekt anzumieten... Das war durchaus als Provokation gedacht, und verfehlte nur halb das gewünschte Ziel. Zumindest bewirkte Angelo damit, daß sich die Dame zu ihm setzte und über einen möglichen Zeitrahmen für den Umzug sprach... Mittlerweile bewegte sich die Diskussion in der Dimension nicht mehr im ‚Nächster Monat’ sondern ‚Nächste oder übernächste Woche’.

Eine schlüssige Begründung für die Verzögerungen in den vergangenen Monaten waren ihr nicht zu entlocken. Angelo, der sich ab und an den Zustand des neuen Gebäudes selbst in Augenschein nahm (‚STEHT IMMER NOCH’), glaubte von einem jungem Mann, Abdullah, den er dort bei einem seiner Besuche antraf und der seinen Angaben zufolgen der neue IT Chef werden sollte, herausgehört zu haben, daß es keinen Telefonanschluß gäbe.

Zuerst erfüllte uns diese Aussage mit Skepsis. Das Gebäude steht seit 2 und mehr Jahren dort, unwahrscheinlich, daß man in all dieser Zeit nicht einmal an eine Telefonleitung gedacht hatte, und im schlimmsten Fall kann man ja ein oberirdisches Kabel aus einem Nachbargebäude in unser Zentrum legen. – Nichtsdestotrotz. Dieses Gerücht hielt sich über mehrere Wochen und wurde durch die Grabungsarbeiten an einem Schacht links vom Eingang des Neubaus genährt. – Wir begannen ernsthaft in Erwägung zu ziehen, daß dies zumindest im Moment der Grund für den verschobenen Umzug war, aber ... der Grund konnte schließlich nicht ewig herhalten. Es gäbe inzwischen eine Leitung, geborgt vom nahen Krankenhaus, aber man könne nur hausintern telefonieren. Diese Version hielt sich eine Weile, ehe Abu Saleh, ein stets lächelnder alter Mann vom Hilfspersonal, die geniale Eingebung hatte, die interne Restriktion mittels einer Vorwahlnummer zu überlisten. Daraufhin hieß es, dies sei aber eine lokale Telefonleitung, mit der man keine Auslandstelefonate führen oder Faxe ins Ausland verschicken könne. – Wir hielten dagegen, daß man inzwischen über eine (lokale) Internetverbindung internationale Telefonate führen und Faxe verschicken konnte. – Zina, unsere Office Managerin, die mit uns im gleichen Raum eingepfercht war, wurde in die Suche nach den Hintergründen miteinbezogen. In unserer westlichen Vorstellung glaubten wir, daß wir, sobald wir die Ursache für den Nichtumzug herausgefunden hätten, automatisch die Lösung und den Umzug vor Augen hätten. Die Informationen, die Zina zu entlocken waren, gingen in eine neue Richtung. Laut Zina behauptete die Leitung des Zentrums, daß das einzige Hindernis für den Umzug die fehlenden Transportmöglichkeiten seien. Es ging wohl zum einen um einen Dienstwagen für die Leiterin, zum anderen um den Ankauf von Bussen, die die Mitarbeiter von zu Hause abholen und am Nachmittag nach Hause bringen sollten. Der Ankauf von Fahrzeugen war schlichtweg in unserem Projekt nicht vorgesehen, aber Mieten ging allemal. Zina hatte längst schon alles arrangiert, ein Dienstwagen mit Fahrer war ausgesucht worden, Verhandlungen mit einem Busunternehmen geführt worden. Die Papiere lagen zur Genehmigung bei der EU. – Aber das alles konnte doch unmöglich der Grund sein, weshalb der Umzug verzögert wurde. Es hatte doch bisher auch keine Busse und Dienstwagen gegeben, das neue Zentrum stand auf dem Territorium eines vielbesuchten Krankenhauses in Damaskus, einfach und preiswert mit den üblichen Minibussen zu erreichen. Mehrfach bot Angelo an, daß wir selbst die Taxikosten der Mitarbeiter übernehmen würden. Aber auch das zog nicht.

Es war ungefähr zu diesem Zeitpunkt (wie gesagt Ende Juni), als Angelo drohte, entweder Büroräume anzumieten oder allein mit dem Projekt umzuziehen. Man einigte sich, daß die internationalen Experten am folgenden Sonntag das neue Gebäude beziehen würden, die syrischen Mitarbeiter sollten innerhalb der nächsten Woche folgen. Wieder einmal war ich gerade dabei, Syrien für einen Kurztrip zu verlassen (Kosovo), als der Umzug bevorstand. Am Donnerstagnachmittag brachte ich deshalb schon einmal meine Ordner ins neue Gebäude. – Da sah ich es zum ersten Mal. MEIN BÜRO. Ein netter kleiner Raum, mit Klimaanlage, Schreibtisch und Desktop, über den ich ganz allein verfügen würde.

Als ich dann nach 2 Wochen Aufenthalt im Kosovo und Deutschland zurückkam, waren Angelo, Peter und Mohammed zwar tatsächlich umgezogen, die syrischen Kollegen aber keineswegs gefolgt. – Nicht daß die meisten nicht wollten...

Selbst ein Arbeitstreffen mit den syrischen Kollegen im neuen Gebäude zu organisieren, schien ein Sakrileg zu sein. Einigte trauten sich wenigstens für ein Stündchen zu einem Arbeitsbesuch auf individueller Ebene zu uns. Zur Absicherung der jeweiligen Mitarbeiter kündigte ich ein solches Arbeitstreffen der Institutsleitung an, die die Treffen dann absegnete (auch wenn ich annahm, daß sie sie eigentlich zu unterbinden suchte). Im Gegenzug kam ich ein über den anderen Tag zum Arbeiten wieder ins alte Gebäude... Das ging etwa zwei Wochen so. Angelo, unser Teamleiter, war inzwischen in seinen wohlverdienten Urlaub nach Italien gefahren.

Dann irgendwann Ende Juli kam der Durchbruch. Wir ziehen um, hieß es. Aber wir brauchen eine Hausordnung. Ohne klare Regeln können wir unmöglich umziehen. Und natürlich Stellenbeschreibungen. Ich versprach mit Peters Hilfe – Mohammed erwies sich als wenig talentiert in dieser Hinsicht - bis zum Ende der Woche etwas zu entwickeln, wenn dafür im Gegenzug der Umzug Anfang der nächsten Woche erfolgte.
Am letzten Tag der darauffolgenden Woche erfolgte dann tatsächlich der Umzug. Es war ein besonderes Ereignis, als der Bus die syrischen Mitarbeiter vor dem neuen Gebäude absetzte und sie sich zum erstem Mal alle in der Halle trafen. - Jeder präsentierte den Kollegen seinen Teil der Hausordnung, die meisten mit Karikaturen oder Clip Arts, die man sich im Internet besorgt hatte. Das Rauchverbot wurde von Dr. Hasam dargestellt, der seinerseits ein passionierter Raucher ist. Es wurde viel gelacht. – Alles andere als eine steife Einweihungsveranstaltung, und schon gar keine mit Minister oder Offiziellen.

Es dauerte noch ein paar Tage, bis sich die Räume mit Kollegen füllten.. Gestern, am 16 August kam der bislang letzte Höhepunkt: Die PCs wurden ONLINE geschaltet. Mit rasender Geschwindigkeit klickte ich mich zu meiner Emailverbindung...

WIR SIND DRIN...

Nächster Teil
Zurück zur Übersicht
Andere Reiseberichte lesen
Home

© Text, Graphik und Photos: Anne Christine Hanser 2007
Autorin: Anne Christine Hanser, International Advisor, Damaskus, Syrien
Impressum